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SP03 Artikel 5/9

Modern Times - Zivilisation oder Barbarei?

Bundesweit aktiv für die Umgestaltung der Hochschullandschaft nach neoliberalen Kriterien ist seit einigen Jahren das Centrum für Hochschulentwicklung (CHE). Das CHE ist eine Sektion der Bertelsmannstiftung, die wiederum mit der Bertelsmann AG einen der weltweit größten Medienkonzerne besitzt (zahlreiche Verlage und Fernsehsender). Unter Ausnutzung dieser Machtstellung übt das CHE unter dem Deckmantel der unabhängigen Stiftung Druck auf (Landes-)Regierungen und Hochschulleitungen aus, z.B. durch Hochschulrankings. Die Auffassung, dass Bildung und Forschung vor allem Ware und der Tauschwert von "Bildungsangeboten" maßgeblich für die Qualität von Studiengängen sei, schlägt sich in verschiedenen Projekten und Positionspapieren des CHEs nieder. Hochschulen sollen als wirtschaftliche Wissenschaftsbetriebe kundenorientiert arbeiten. Ihre Privatisierung und der Abbau demokratischer Beteiligungsrechte sowie deren Ersetzung durch kapitalfreundliche Aufsichts- und Leitungsgremien werden daher angestrebt.

In Hamburg ist es der Senator und "Wissenschaftsmanager" Dräger, der im smarten Gewand als Erfüllungsgehilfe für die Interessen des Kapitals agiert. Er plant mit seinem Entwurf des "Hochschul-Modernisierungs-Gesetzes" langjährige Forderungen des CHE und der Hamburger Handelkammer umzusetzen. Studiengebühren und die Einführung eines externen Hochschulrats sind nur zwei Beispiele. Hierbei ist nicht die soziale Auslese das Ziel. Denn dass wesentlich mehr Menschen als bisher wissenschaftlich ausgebildet werden müssen, um den Erfordernissen der technischen und gesellschaftlichen Entwicklung gerecht zu werden, erkennen mittlerweile nicht nur fortschrittliche Kräfte sondern auch Unternehmen und ihre Interessenvertreter. Damit die höhere Qualifikation nicht zu Erkenntnis über die eigene gesellschaftliche Lage und für eine kooperative Entwicklung für die soziale, demokratische und friedliche Gestaltung der Gesellschaft genutzt wird, muss durch Repressionen die vorgebliche Natürlichkeit der Konkurrenz eines Jeden gegen Jeden und des Strebens nach Profit als unhinterfragbar durchgesetzt werden. Nur wer sich der Ungleichheit unterordnet, kann belohnt werden.

Das Prinzip der Ungleichheit der Menschen und der Konkurrenz unter ihnen wird an der Einführung von Bachelor- und Masterstudiengängen besonders deutlich. Der Bachelor ist konzipiert als ein Schmalspurstudium für die Masse, orientiert am kurzfristigen unternehmerischen Bedarf. Wer überdurchschnittliche Unterwürfigkeit und Leistungsbereitschaft aufweist, bekommt die Chance auf einen Master-Abschluß, der einem die Möglichkeit eröffnet, danach in höherer Leitungsebene knechten zu dürfen.

Wie das Verhältnis zwischen Bachelor- und Masterstudierenden aussehen soll, hat Dräger schon verraten: 30% sollen zur Elite gehören, 70% zur Masse mit Schmalspurausbildung werden. 30:70 ist dabei nicht einfach eine Abschlussquote, sondern Drägers "Vision" einer "modernen" Gesellschaft.

Angesichts der wachsenden allgemeinen Bedeutung von Bildung und Wissenschaft muss die Reform der Hochschulen stattdessen die Humanisierung des Alltags zum Inhalt haben. Bereits in den späten 60er Jahren protestierten Studierende mit dem Slogan "Wider die Untertanenfabrik!" gegen altertümliche Autoritätsvorstellungen, Elitenbildung und die (innerwissenschaftliche) Kontinuität seit dem Faschismus. Mit der Forderung nach Abschaffung von Studiengebühren, nach sozialer Absicherung, Demokratisierung und kritischem Gesellschaftsbezug in den Wissenschaften stritten Studierende damals für wirklich moderne Hochschulen.

Die Stärken der heutigen (teilweise) demokratischen Massenuniversität sind Resultat der damaligen Bewegung für mehr Demokratie in der ganzen Gesellschaft. Inhalte und Ziele von Wissenschaft und Forschung müssen sich am Maßstab des Fortschritts für alle Menschen messen lassen. Es liegt in unserer Hand, ob Naturwissenschaftler und -wissenschaftlerinnen weiterhin ihr Wissen in die Erforschung von immer neuen, immer ausgefeilteren Waffen und Waffensystemen stecken, oder ob sie dieses Wissen nutzen, um in weltweiter Kooperation die Lebensbedingungen aller Menschen zu verbessern, z.B. in der Klimaforschung, der Forschung im Gesundheitsbereich oder bei der Erforschung regenerativer Energien. Es liegt auch in unserer Hand, ob Wirtschaftswissenschaftler und -wissenschaftlerinnen weiter mit daran beteiligt sind, die weltweite Ausbeutung und Ungleichheit der Menschen ideologisch abzusichern, oder ob sie an der Entwicklung und Umsetzung eines die Ungleichheit überwindenden Weltwirtschaftssystem arbeiten. Ebenso steht in den Geistes- und Sozialwissenschaften zur Entscheidung, ob man sich damit begnügt, die aktuellen wie historischen gesellschaftlichen Verhältnisse zu beschreiben und somit zu deren Verewigung beizutragen, oder ob sie durch das kritische Hinterfragen von gesellschaftlichen Entwicklungen ihre Erkenntnisse zum praktischen gesellschaftlichen Nutzen verfügbar machen

Hochschulen sind und werden zunehmend ein zentraler Ort der gesellschaftlichen Entwicklung. Kooperative, wissenschaftliche Praxis muss deshalb allen Menschen, unabhängig von sozialer Lage, Alter oder Beruf ermöglicht werden. Sie müssen in demokratisch organisierten Gremien, in den Seminaren und im steten Austausch mit außeruniversitären Institutionen selbst über die Ziele, Inhalte und Methoden von Forschung und Lehre verfügen können. Diese umfassende Öffnung und Demokratisierung der Hochschulen gewährleistet die größtmögliche gesellschaftliche Beteiligung bei der Zielbestimmung für Bildung und Wissenschaft.

Die gesellschaftliche Nützlichkeit von Bildung und Wissenschaft kann größer nicht sein, als wenn diese sich an den aktuellen Menschheitsproblemen und nicht den Profitproblemen Einzelner orientieren. Friedliche Lösungen von Konflikten, eine gerechte Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums und kulturelle und wissenschaftliche Weltaneignung für Alle zu befördern sind zeitgemäße Aufgaben für die Hochschulen.

Der Kampf für Reformen an der Hochschule ist der Kampf für Zivilisation statt Barbarei.

Veröffentlicht am Mittwoch, den 1. Januar 2003, http://www.harte--zeiten.de/artikel_51.html