Menü | HomeAnträge und Beschlüsse › Geleit an den Akademischen Senat von Golnar Sepehrnia und Olaf Walther vom

Zum Geleit XVI

Kontraste

oder: Der Mut zur Alternative

[Kommentar zum Hintergrund: Die vernünftige Entwicklung von Universität und Gesellschaft ist Aufgabe aller. Die Konflikte des vergangenen Jahres haben prinzipielle Alternativen offengelegt. Wer nicht unbewußtes Objekt des rohen Alltags von Markt und Devotion sein will, braucht eine klare kritische Perspektive. Die kollegiale Verständigung hierüber eröffnet neue Möglichkeiten für echte Reformen, das heißt humane Entwicklung. Die begonnene Debatte um die Grundordnung der Universität ist ein bedeutsamer Anlaß.]

0) Die Philosophie des Gegensatzes

"Vorsicht bei der Verwahrung von Erfahrungen Me-ti sagte: Man kann sich zu Verallgemeinerungen erheben wie der Vogel, der den Boden flieht, weil er zu heiß geworden ist, und wie der Sperber, der die Höhe aufsucht, um das Kaninchen zu erspähen, auf das er sich stürzen will."

Bertolt Brecht, "Me-ti/Buch der Wendungen".

Der Ausgangspunkt für den Menschen ist stets die Erde, das heißt der Mensch. Dahin ist immer wieder zurückzufinden. Irrungen und Wirrungen sind nicht auszuschließen.
Schon in Erwartung heißen Grundes suchen manche das Weite.
Manche treten auf der Stelle und warnen vor den Gefahren.
Andere wiederum schicken andere vor.
Vierte bezeichnen sich als besonders, indem sie rückwärts gehen.
Denken hingegen stellt sich Schwierigkeiten: Philosophie hat, wer nach Alternativen sucht. (Fundstücke sind am besten als Allgemeingut zu verwenden.)

1) Die Geschichte, ein Schnäppchenmarkt?

"Lassen Sie mich ein Beispiel nennen: Die nationalsozialistische Ideologie berief sich auf das Recht des Stärkeren. Dies hat zu einer menschenverachtenden Behandlung der sogenannten Schwächeren geführt. Im Reflex auf diese verwerfliche Politik erleben wir bis heute, dass allein das Berufen auf das ,schwach sein' moralische und politische Ansprüche auslöst, die einer Überprüfung nicht immer Stand halten."(...) "Aber alles, was darüber ("Hilfe für die Schwachen"/"Grundsicherung") hinaus geht, soll doch bitte der Entscheidungsfreiheit des Einzelnen und dem Markt unterliegen; soll vertraglich geregelt sein und nicht mehr der politischen Beliebigkeit unterliegen."

Ole v. Beust, Rede vor dem Überseeclub (Sept. 2003)

Kritisches Geschichtsbewußtsein sei ein "Reflex".
Verträge sollen das Minimum regeln. Gelobt wird, was "stark" ist: große Geschäfte, Konkurrenz, Deklassierung, Kurzfristigkeit. Zäh wie gebratene Schuhsohle. Hart wie Glaubensdogmen. Flink wie Wackeldakkel. Humane Lernergebnisse werden hartnäckig verdrängt. Der Krieg ist hierin natürlich erscheinend enthalten.
Gesundheit, Bildung und Kultur werden achtlos auf den Markt geworfen. Hier sollen sich dann alle raufen. Das ist die wahre Bedeutung der Ware "Freiheit". Die Vermeidung des allgemein Nützlichen bestimmt das politische Programm.

2) Der Realismus sogenannter Träume

"Es wächst hienieden Brot genug
Für alle Menschenkinder,
Auch Rosen und Myrten, Schönheit und Lust,
Und Zuckererbsen nicht minder.
Ja, Zuckererbsen für jedermann,
Sobald die Schoten platzen!
Den Himmel überlassen wir
Den Engeln und den Spatzen."

Heinrich Heine, "Deutschland ein Wintermärchen", 1844.

Daß der soziale Reichtum in den Händen einiger weniger am besten aufgehoben sei - je mehr, desto besser für alle -, gehört zur alltäglichen Märchenstunde.
Die engagierte Dichtung wußte seit jeher schon mehr von der Wahrheit.
Wurde (auch sie) ernst genommen, ist die Menschheit weiter gekommen.
Wenn wir Heine feiern und gedenken, sollten wir gewahr sein, daß Schönheit nicht zuletzt die Freiheit von Elend bedeutet.

Nachsatz als Vorsatz:

Der aufrechte Gang war und ist evolutions- bzw. kulturgeschichtlich ein bedeutender Sprung in der Entwicklung der Lebewesen; in der Fortbewegung ist ab und zu daran zu erinnern.

Hamburg, den 6. Dezember 2005

Veröffentlicht am Dienstag, den 6. Dezember 2005, http://www.harte--zeiten.de/dokument_342.html