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Verbindlich Sozial

Eine Deutung zum ,,Fall“ Chantal

,,Da fragte ich mich: Was für eine Kälte
Muß über die Leute gekommen sein!
Wer schlägt da so auf sie ein
Daß sie jetzt so durch und durch erkaltet?
So helft ihnen doch! Und tut das in Bälde!
Sonst passiert euch etwas, was ihr nicht für möglich haltet!“

Bertolt Brecht, O Fallada (Ein Pferd klagt an), 1932.

Das Leben befürworten heißt nicht zuletzt, jede Armut aktiv solidarisch zu verneinen.

Alles, was über das traurige Ende der Elfjährigen im Stadtteil Wilhelmsburg bekannt wurde, zeigt, daß es abzuwenden gewesen wäre. Das Mädchen hat aktiv einen Ausweg gesucht. Nachbarn haben beim Jugendamt interveniert. Dieses Mal war die Gleichgültigkeit dominant. Woran liegt das?

In Hamburg, der reichen Stadt, lebt seit Jahren mindestens jedes fünfte Kind von Hartz IV. In manchen Stadtteilen ist es jedes zweite. Das liegt an der krassen Umverteilung gesellschaftlich erarbeiteten Reichtums und gesellschaftlicher Arbeit zugunsten der reichsten zehn Prozent der Bevölkerung. Das ist die überwindbare Ursache krassen sozialen und kulturellen Elends. Die Welt der Geschäfte ist menschlich gleichgültig.
Was dennoch gut geht, gelingt durch praktizierte Anteilnahme in Überschreitung ihrer Gebote.

In Wilhelmsburg - pars pro toto - verdichten sich ökonomisch und politisch geschaffene Probleme, die sämtlich nicht sein müßten: Verschärfte Konkurrenz um Arbeit, Niedriglöhne, Erwerbslosigkeit, der Druck zu ,,Leistung“ und ,,Eigenverantwortung“, Privatisierungen sozialer Infrastruktur, Stellenabbau und damit die Individualisierung gesellschaftlicher Probleme auf Basis einer Stigmatisierung von Erwerbslosen. Die zunehmend bürokratische und strafende Behandlung durch sogenannte Sozialbehörden anstelle echter Hilfe und emanzipatorischer Ermutigung - gerade in der Kinder- und Jugendhilfe - wiegen dann besonders schwer. Diese Härte schafft wieder Härte, wo es an einer solidarischen Alternative fehlt.

Deswegen ist die wachsende gesellschaftliche Opposition zu Bankenmacht, Konkurrenzideologie und Leistungshetze, ist jede Bewegung für Frieden, hohe Löhne und kurze Arbeitszeiten, ist das Engagement für humanistische Bildung, kritische Wissenschaft und aufgeklärte Kultur nicht etwa blinde Schwärmerei, sondern einzig rational, menschlich und gesellschaftlich nützlich.
Nicht ,,Effizienz“, Emanzipation! ist eine humane Kategorie. Staatliche Ausgaben für Soziales, Gesundheit, Bildung, Wissenschaft und Kultur sind Ausgaben für das Leben. Das sollten sich auch die Prediger der ,,Schuldenbremse“ hinter die Ohren schreiben.
,,Der Haß ist so gut erlaubt als die Liebe, und ich hege ihn im vollsten Maße gegen die, welche verachten.“

(Georg Büchner, Brief an die Familie, 1834.)


Freundlichkeit wächst gesellschaftlich mit sozialer Gleichheit.

V.i.S.d.P.: Golnar Sepehrnia, Schützenstr. 57, 22761 Hamburg.
Herausgegeben von: harte zeiten - junge sozialisten & fachschaftsaktive an der Universität Hamburg.
Veröffentlicht am Mittwoch, den 15. Februar 2012, http://www.harte--zeiten.de/artikel_1100.html