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Studiengebühren in Rot-Grün!

Alles eine Frage der Definition?

In Niedersachsen gibt es „Verwaltungskostenbeiträge“, in Baden-Württemberg Studiengebühren und der Hamburger Uni-Präsident bastelt neue Konzepte zur verstärkt privaten Studien- und Hochschulfinanzierung. Am 8.12.1998 wird er sich der Diskussion mit Thorsten Bultmann, einem der profiliertesten Kritiker solcher Konzepte, stellen.

„Wir werden das Hochschulrahmengesetz im Einvernehmen mit dem Bundesrat weiterentwickeln und dabei die Erhebung von Studiengebühren ausschließen...“

Koalitionsvertrag zwischen SPD und Bündnis 90/Die Grünen.

Was aber sind Studiengebühren und was sind keine?
Wenn Einschreibegebühren zur Finanzierung der Prüfungs- und Auslandsämter, der ZVS und der allgemeinen Studienberatung in Höhe von 100 DM zu entrichten sind, wie demnächst in Niedersachsen, sind es keine Studiengebühren?
Warum sollte man diese „Beiträge“ nicht gleich auf die Finanzierung von Bibliotheken und Hochschulverwaltung ausdehnen?
Denn das und viel mehr wird in Niedersachsen nach der geplanten Novelle des Landeshochschulgesetztes möglich sein, weil dort nur diejenigen Kosten von der Gebührenerhebung ausgenommen sein werden, die „dem Lehrbetrieb ... unmittelbar zuzurechnen sind (Verwaltungskostenbeitrag)“, so ein Vorschlag zur Novelle des NHG.
Beiträge zur Sicherung eines funktionierenden Bildungsbetriebs sind also keine Studiengebühren?

Bildungspolitische Kontinuität?

Hatten Rüttgers (ex CDU-Wissenschaftsminister), Herzog & Co sich noch offen zu einer marktgängigen und radikalen Umstrukturierung bekannt und versucht, diese im Hau-Ruck-Verfahren bundesweit mit HRG-Novelle und schnittigen Reden durchzusetzen, wird nun dezentral und unter sozialem Deckmäntelchen „reformiert“.
Im Kern sind jedoch beide Ansätze zur Umgestaltung des Bildungssystems verwandt:
Ziel ist es, unter Anerkennung eines selbst geschaffenen Sparzwanges, Mittel aus privater Wirtschaft und privaten Haushalten zur Bildungsfinanzierung heranzuziehen, um den Staat immer mehr aus seiner Verantwortung für (Aus-) Bildungsfinanzierung entlassen zu können.
Noch vor einem Jahr streikten die Studierenden bundesweit, um u.a. ein Verbot von Studiengebühren im HRG durchzusetzen. Auch die jetzigen Regierungsparteien in Bonn versprachen diese zu verhindern. Jetzt an der Macht und mit Studiengebühren durch die Hintertür (s. Niedersachsen, ...), lassen SPD und Grüne die noch zu Jahresfrist an den Tag gelegte Vehemenz vermissen. Und anstatt Studiengebühren die Tür zu verschließen, kommt aus Bonn nur ein tiefes Bedauern über das „falsche Signal“ (Buhlman in: Der Spiegel 49/98)

Uni-Präsident Lüthje immer dabei

Wo immer in letzter Zeit neue Modelle zur Ausbildungsfinanzierung und Hochschulfinanzierung erschienen; der Präsident der Uni Hamburg, Dr. Jürgen Lüthje, war immer dabei.
Sei es der „Initiativkreis Bildung“ der Bertelsmannstiftung und des Deutschen Stifterverbandes, der Hamburger Gesprächskreis „Hochschule-Industrie“ oder zu letzt der Sachverständigenrat der Hans-Böckler-Stiftung, Lüthje tritt für ein neues Ausbildungsfinanzierungsmodell ein, welches nicht dazu beiträgt, allen Menschen gleichermaßen Recht auf – und Möglichkeit von – Bildung und Ausbildung zu sichern.
In seinem, dem Akademischen Senat vorgelegten, Konzept zur Ausbildungsfinanzierung wird zwar „allen Menschen ein Anspruch auf öffentliche Förderung von Bildungs- und Ausbildungsprozessen eingeräumt“. Jedoch sei „die öffentliche Förderung ... aber an die Bereitschaft gebunden ..., auch private Mittel ... aufzuwenden“, heißt es in diesem Konzept. In die Finanzierung einbezogen werden soll das Vermögen Angehöriger, während der öffentliche Anteil der Förderung an das Erbringen von Leistungsnachweisen geknüpft ist. Das schränkt die individuelle Lebensplanung massiv ein, zumal viele Studierende gezwungen sind, zu Arbeiten oder anderen gesellschaftlichen und familiären Aufgaben nachkommen müssen.
Durch nach Bedürftigkeit öffentlich gefördertes „Bildungssparen“ von Kindheit an und „Bildungsdarlehen“ soll gewährleistet sein, das jedeR Einzelne trotzdem eine Ausbildung oder Hochschulbildung erhalten kann. Da die Förderung mit der Regelstudienzeit (zuzügl. ein Jahr Weiterbildung) endet, besteht trotzdem der Druck, möglichst schnell das Studium zu beenden, um hinterher nicht höher als „nötig“ verschuldet zu sein. Dabei ist schon jetzt der rückzahlungspflichtige Teil des Bafögs der hauptsächliche Hinderungsgrund zu Aufnahme eines Studiums für Menschen aus unteren Einkommensschichten.

Studiengebühren sind keine Frage der Definition

So wird auch hier, wie Thorsten Bultmann (BdWi) in einem Artikel das Konzept des Centrums für Hochschulentwicklung kritisiert, „von den sozialen, ökonomischen und kulturellen Bedingungen, welche individuelle Bildungsentscheidungen ... determinieren, ... vollständig abstrahiert“.
Ausgehend von dem Grundsatz des Rechts auf Bildung (und Ausbildung) für alle Menschen, welches allen gleichberechtigte Teilhabe an gesellschaftlicher Entwicklung ermöglichen soll, ist die Wahrung dieses Rechts eine gesellschaftliche Aufgabe. Wie das Recht auf freie persönliche Entfaltung, z.B. zu gewährleisten durch eine soziale Grundsicherung, muß die Wahrnehmung dieses Rechts gemeinschaftlich ermöglicht, also solidarisch finanziert werden. Nur so könne sichergestellt sein, so Bultmann, daß Mechanismen struktureller Diskriminierung, wie sozioökonomische oder kulturelleUnterschiede und patriarchale Verhältnisse, wirksam entgegengetreten werden kann.
Dafür ist eine staatliche, bedarfsdeckende und elternunabhängige Ausbildungsfinanzierung, die nicht an sog. Regelstudienzeit und „Leistungsnachweise“ geknüpft sein darf, notwendige Voraussetzung.
Von dieser Forderung gilt es auszugehen, wenn die Beurteilung neuer Ausbildungsfinanzierungskonzepte ansteht. Jedes Konzept, daß eine einseitige Mehrbelastung der (Aus-) BildungsempfängerInnen vorsieht, ist daher abzulehnen, auch wenn es sich dabei „nur“ um die direkte Beteiligung an den durch die (Aus-)Bildung anfallenden Verwaltungskosten handelt.

Und der Sparzwang?

Angesichts immensen privaten Reichtums bei gleichzeitiger Mittelknappheit öffentlicher Kassen und Armut gilt es immer wieder die Forderung nach Umverteilung gesellschaftlichen Reichtums von oben nach unten durch eine wirklich progressive Steuerpolitik zu erneuern. Gleichzeitig muß die gesellschaftliche Relevanz staatlicher Ausgaben hinterfragt werden, um so zu einer Finanzpolitik zu gelangen, die den Anforderungen einer friedlichen, demokratischen und sozial gerechten gesellschaftlichen Entwicklung gerecht wird. Dabei kommt ebenso wie den sozialen Bereichen der Bildungs- und Ausbildungsfinanzierung eine zentrale Rolle zu.

Weitere Infos:

Sachverständigenrat Bildung bei der Hans-Böckler Stiftung: www.boeckler.de
Initiativkreis Bildung der Bertelsmannstiftung: www.bildungsinitiative.de
Bund demokratischer WissenschaftlerInnen:
www.bdwi.org
Koalitionsvertrag: www.spd.de

Was wollen Sie, Herr Präsident?

Dr. Jürgen Lüthje, Präsident der Universität Hamburg, SPD
im Streitgespräch mit
Thorsten Bultmann,Geschäftsführer des BdWI
über

Studiengebühren, Hochschulsponsoring, Demokratisierung...

am 08.12.1998, um 19:00Uhr, Phil-Turm, Phil A

V.i.S.d.P.: Niels Kreller, Schützenstr. 57, 22761 Hamburg.
Herausgegeben von: juso-hochschulgruppe & fachschaftsaktive an der Universität Hamburg.
Veröffentlicht am Mittwoch, den 2. Dezember 1998, http://www.harte--zeiten.de/artikel_164.html