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Zum Geleit II

Klee, 1933 und die zukunftsvolle Gegenwart

[Kommentar zum Hintergrund: Sozialstaatlichkeit, die demokratische Freiheit von Lehre und Forschung, die Ablehnung von Rüstung und Krieg sind praktische Lehren aus Faschismus und Krieg. Sie sind eng verknüpft mit der positiven historischen Zäsur von 1945 und dem zivil couragierten Engagement von Abertausenden gegen die bestialische Zerstörung der Nazi-Herrschaft. Aus ihrem Mut, ihrer weitsichtigen, klaren Kritik und ihrer humanistischen Überzeugung läßt sich heute lernen, wenn die sozialen und demokratischen Errungenschaften der Nachkriegszeit zum Beispiel vom Rechtssenat in Hamburg angegriffen werden. Wider die Verharmlosung heißt es hier: Wehret den Anfängen!]

0) ,,Der Gegenpfeil“

,,Die Sache war aufregend. Klee, der Blatt für Blatt vorlegte, verschwand sozusagen aus dem Raum, und die Striche und Punkte, die Flächen und Zeichen schienen einen verrückten Tanz aufzuführen. Als mein Begleiter (Walter Kaesbach, damaliger Leiter der Kunstakademie in Düsseldorf) von der Menge des Gesehenen erschöpft die Betrachtung einstellte und Klee die Mappe schloß, wirkte der Künstler wie ein Zauberer, der seine Zauberformel noch nicht zurückgenommen und seine Opfer mit einem leisen Lächeln noch im Bann hat. Klee hatte die Blätter unter viel Mühen gemacht und das erste Mal anderen gezeigt. Das Zeigen allein war in jenen Tagen der geheimen Staatspolizei gefährlich. Und die Wirkung der Zeichnungen so gegen alles Nationalsozialistische, daß von den damaligen Machthabern, wenn sie die Blätter hätten ablesen können, bei Klee mehr als nur Haussuchungen durchgeführt worden wären.“
Alexander Zschokke (Bildhauer und Professor seines Faches), ,,Begegnung mit Paul Klee“, Erstveröffentlichung in der Schweizerischen Monatszeitschrift ,,Du“, 1948, in: ,,Paul Klee 1933“, Ausstellungskatalog, 2003, S. 309.

Paul Klee (1879-1940) wurde von den Machthabern des deutschen faschistischen Regimes drangsaliert, denunziert und verfolgt. Der als ,,kulturbolschewistisch“ abgewertete Künstler wird vom kurz zuvor berufenen Amt als Professor der Kunstakademie Düsseldorf im April 1933 fristlos entlassen. Im Dezember des Jahres verläßt er Deutschland in die Schweiz.
Als engagierte Verarbeitung dieser umfassenden gesellschaftlichen Bedrohung entstehen 1933 über 200 Bleistift und Fettkreidezeichnungen, die spöttisch und ironisch die Autorität, den Militarismus, den Antisemitismus und das Kunstverständnis des Regimes thematisieren.
Dieser Schaffenszyklus galt lange als verloren, wurde 1984 wiederentdeckt und in einer Ausstellung der Hamburger Kunsthalle (,,Paul Klee 1933. Der Gegenpfeil“, 12.12.'03-7.3.04) - ergänzt mit thematisch assoziierten farbigen Arbeiten - gezeigt.
Der präsentierten Auswahl von etwa 80 Blättern sind die umseitigen beiden Exemplare reproduktiv entnommen.

1) ,,auch >ER< Dictator!“

,,Gibs auf!
Es war sehr früh am Morgen, die Straßen rein und leer, ich ging zum Bahnhof. Als ich eine Turmuhr mit meiner Uhr verglich, sah ich, daß es schon viel später war, als ich geglaubt hatte, ich mußte mich sehr beeilen, der Schrecken über diese Entdeckung ließ mich im Weg unsicher werden, ich kannte mich in dieser Stadt noch nicht sehr gut aus, glücklicherweise war ein Schutzmann in der Nähe, ich lief zu ihm und fragte ihn atemlos nach dem Weg. Er lächelte und sagte: ‘Von mir willst du den Weg erfahren?' ‘Ja', sagte ich, ‘da ich ihn selbst nicht finden kann.' ‘Gibs auf, gibs auf', sagte er und wandte sich mit einem großen Schwunge ab, so wie Leute, die mit ihrem Lachen allein sein wollen.“

Franz Kafka.

Zum Bild:
Die Figur ist ohne Zweifel gebieterisch. Sie kennt kein Fragezeichen. Hier werden Folgsamkeit und Unterordnung gefordert. Das Parodistische entsteht durch die Vogelartigkeit der steif stolzierenden Person, die mit dem übergroßen Kopf, der Hakennase, dem vorgeschobenen Kiefer, der geblähten Brust rechterhand, langen Arms und gestreckten Zeigefingers auf das imperative Zeichen weist. Das streng Gebieterische kann verlacht werden.

2) ,,Kriechender“

,,Diederich Heßling war ein weiches Kind, das am liebsten träumte, sich vor allem fürchtete und viel an den Ohren litt. Ungern verließ er im Winter die warme Stube, im Sommer den engen Garten, der nach den Lumpen der Papierfabrik roch und über dessen Goldregen- und Fliederbäumen das hölzerne Fachwerk der alten Häuser stand.“
Heinrich Mann, ,,Der Untertan“, 1918.

Zum Bild:
Die rund gebeugte Kreatur bewegt sich ohne sichtbare äußere Einschüchterung auf allen Vieren fort. Der verinnerlichte Gehorsam ist zur evident erniedrigten Haltung geworden. Das ängstliche Gesicht mit den groß geöffneten Augen, der spitzen Nase und dem leidend zerfurchten Mund schaut leer verzweifelt duldend in die Kriechrichtung. Schemenhaft löst sich linksseitig ein zweites, rundes Gesicht. Die Drastik des Bildes wird gebildet durch die starke Eindeutigkeit der Positur. Der Widerspruch zu dieser psychischen Versklavung entsteht im empörten Auge des Betrachters. Man möchte diesem Menschen unbedingt aufhelfen.

3) Die zukunftsvolle Gegenwart

,,An die leitenden Gestalten des Kaiserreichs (,,Der Untertan“) ging ich erst im Sommer 1918, wenige Monate vor seinem Zusammenbruch - dessen Zeitpunkt bis zuletzt unbestimmt war. (...)
Früh war ich nicht aufgestanden, meine Eingebung hatte nichts von Prophetie. Allerdings begann ich, als die Tatsachen noch dämmerten. Als Sonnen sind sie nicht gerade aufgegangen. Litt ich an meinen Erkenntnissen, die zu der gleichen Zeit ein jeder hätte empfangen können? War ich ein Kämpfer? Ich gestaltete, was ich sah, und suchte mein Wissen überzeugend, wenn es hoch kam, auch anwendbar zu machen.“

Heinrich Mann, ,,Ein Zeitalter wird besichtigt“, 1944, S. 245 (Fischer Tb).

Soziale Verantwortung beginnt damit, die erkannte, erfahrene, tradierte oder empfundene Wahrheit nicht zu leugnen, sondern anzuerkennen, zu begründen und zu verbreiten. Verbündete werden sich finden.
Krieg ist nicht Frieden, Elend nicht Wohlfahrt, Autorität nicht Wohltat, Täuschung nicht Klugheit, Taktik nicht Mut ...
Die couragierte Position an jedem Ort verlangt die Reflexion der Folgen eigenen Handelns.
Der Sinn der Vernunft ist besonders die bewegende Verbreitung befreiender Einsichten.

Golnar Sepehrnia, Olaf Walther
Hamburg, den 15. September 2004

Veröffentlicht am Mittwoch, den 15. September 2004, http://www.harte--zeiten.de/dokument_328.html