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Das Recht des Stärkeren

Ole von Beust und der Anti-Antifaschismus

In seiner Rede vor dem Übersee-Club vom 23. September 2003 bekräftigt Ole von Beust, dass er dem „Markt als Prinzip“ wieder zum Durchbruch verhelfen wolle. Viel zu lange seien die Menschen dieses Landes durch Zahlungen „an die Rentenversicherung, an die Krankenversicherung und an die Arbeitslosenversicherung; von Steuern ganz zu schweigen“ bevormundet worden. Freiheit sei, sich individuell statt solidarisch um die Verbesserung der eigenen Lebensbedingungen zu kümmern. Gerecht sei, dass wer sich sein Leben lang als hinreichend „leistungsstark“ erweise, „ja auch die notwendigen freien Mittel eine bessere Altersversorgung zu vereinbaren, als andere“ habe, so Ole von Beust. Einzig die fortwährende Diskreditierung des „Rechts des Stärken“, dadurch dass die „nationalsozialistischen Ideologie“ sich darauf berief, sei problematisch. Denn: „Im Reflex auf diese verwerfliche Politik erleben wir heute, dass allein das Berufen auf das »schwach sein« moralische und politisches Ansprüche auslöst, die einer Überprüfung nicht stand halten.“

Erinnern wir uns: Anfang des 20. Jahrhunderts war die organisierte Arbeiterschaft zur Massenbewegung angewachsen, errang die Republik und erstarkte im Kampf gegen Massenarbeitslosigkeit, Remilitarisierung und Verelendung. Die Überwindung von Ausbeutung und Konkurrenz stand auf der historischen Tagesordnung. Deshalb förderte die „Harzburger Front“, der Zusammenschluss der wichtigsten Repräsentanten der deutschen Schwerindustrie, der Großbanken und Versicherungen sowie der Presse, mit Millionenspenden die deutschen Faschisten. Dafür zerschlugen die Faschisten nach erfolgter Machtübertragung die Organisationen der Arbeiterbewegung (Parteien, Gewerkschaften, Vereine). Viele von deren Mitgliedern organisierten sich daraufhin in der Illegalität, um im Widerstand solidarisch gegen den faschistischen Terror durch Aufklärungsarbeit, Schutz Verfolgter, zivilen Ungehorsam und Sabotage für humane Verhältnisse zu kämpfen.

Aus der Erfahrung des Faschismus, der in ungefesselter Brutalität auf die Profitsteigerung auf Kosten von Produktivität, Lebensbedingungen und dann auch des Lebens von Millionen zielte, wurden weitreichende Lehren gezogen, die nach 1945 weit bis in das bürgerliche Lager, ja selbst bis in die CDU hinein, geteilt wurden. Kommunisten, Sozialisten, Sozialdemokraten und bürgerliche Humanisten kämpften gegen die Unterwerfung des Menschen durch den Menschen. Insbesondere für die Vergesellschaftung der Schlüsselindustrien und die Zerschlagung der Monopole als wichtigem Schritt, die Grundlagen von Faschismus und Krieg zu bekämpfen, wurde in Ost- und Westdeutschland gestritten. Das Ergebnis dieses Kampfes war im Westen ein Kompromiss sozialstaatlicher Regulierung der Ausbeutung, der durch die Arbeitskämpfe, Streiks, Studentenbewegung etc. in den 1970er Jahren weiter ausgebaut werden konnte: Demokratisierung der betrieblichen Mitbestimmung, der Verwaltung, des öffentlichen Lebens, der Bildungsinstitutionen und der Kultur, sowie die durch Umverteilung gesellschaftlichen Reichtums durch Steuern und Abgaben zu Gunsten der Seite der Arbeit erweiterte Finanzierung sozialstaatlicher Aufgaben.

Ole von Beust möchte nun also diese antifaschistischen sozialen Errungenschaften, die Ergebnisse solidarischer Kämpfe der Arbeitenden sind, beseitigen. Denn für die bessere Ausbeutbarkeit sollen alle Menschen unter dem kulturellen und sozialen Druck ständiger existenzieller Gefährdung stehen. Gerade damit die Menschen ihr Wissen, ihre Erfahrungen und Erkenntnisse nicht zum Nutzen Aller (damit auch ihrer selbst) einsetzen, sondern diese der optimalen Verwertbarkeit der Ressource Mensch dienen, sollen Konkurrenz und Leistungsdruck in der gesamten Gesellschaft durch Privatisierung und Kommerzialisierung aller Lebensbereiche gefördert werden. Wer dann meint, die individuell erfahrenen Probleme ‚ganz frei‘ qua eigener Stärke (Disziplin, Bravheit, Intelligenz) lösen zu müssen, der stimmt der Konkurrenz und damit seiner eigenen Ausbeutung zu.

Die menschliche Stärke liegt nicht darin, mit allen Problemen allein klar zu kommen, sondern darin, gemeinsam mit anderen ein Verständnis der gesellschaftlichen Verhältnisse als Ursache der allgemeinen Probleme zu entwickeln und auf dieser Grundlage solidarisch die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen alltäglich praktisch zu bekämpfen.

Für die Hochschulen steht die Entscheidung an zwischen Wissenschaftssenator Drägers Plänen zur marktorientierten Zurichtung der Wissenschaftsinhalte und Wissenschaftsinstitutionen oder Ausbau der Errungenschaften der demokratischen Massenuniversität (der gesellschaftskritischen Wissenschaftsinhalte, der Einheit von Forschung, Lehre und Selbstverwaltung, der sozialen Öffnung und Absicherung, der Interessenvertretung in Fachschaftsräten, Verfasster Studierendenschaft, teildemokratischen Gremien und kritischen Hochschulgruppen). Das Engagement für den Ausbau dieser sozialen und demokratischen Errungenschaften ist die Verbesserung der eigenen Lebensbedingungen.
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Herausgegeben von: juso-hochschulgruppe & fachschaftsaktive an der Universität Hamburg.
Veröffentlicht am Montag, den 13. Oktober 2003, http://www.harte--zeiten.de/artikel_23.html