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Offene Worte

"Für diese Sorte sind Arbeiter und Angestellte, die sie heute mit einem euphemistischen und kostenlosen Schmeichelwort gern "Mitarbeiter" zu titulieren pflegen, die natürlichen Feinde. Auf sie mit Gebrüll! Drücken, drücken: die Löhne, die Sozialversicherung, das Selbstbewußtsein - drücken, drücken! Und dabei merken diese Dummköpfe nicht, was sie da zerstören. Sie zerstören den gesamten inneren Absatzmarkt. (...)
Für wen wird gelitten? Für wen gehungert? Für wen auf Bänken gepennt, während die Banken verdienen?"

(Kurt Tucholsky, "Die Herren Wirtschaftsführer", 1931)

"Die primäre Verantwortung der Unternehmen liegt nun einmal nicht in der Sozialfürsorge"
(Michael Rogowski, Chef des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), Die Zeit 39/2004)

Nun, da sagt er Wahres. Tatsächlich sind Unternehmen keine sozialen Einrichtungen und Errungenschaften. Arbeitszeitverkürzungen, Tarifhoheit, Lohnsteigerungen, Urlaub, Arbeitslosen- und Krankenversicherung, sind es - wenn sie sind - und zwar selbst-erkämpftes und erkämpfbares Recht der vielen, die ihre Arbeitskraft für den Profit weniger verkaufen. Diese Wahrheiten schmecken Michael Rogowski, diesem besonders offenherzigen Exemplar des deutschen Großkapitals, gar nicht.
Wenn es nach dem BDI-Chef ginge, dürften sich Firmen in Deutschland ganz aus der Mitfinanzierung der sozialen Sicherungssysteme wie Arbeitslosengeld oder Krankenversicherung verabschieden. Die Unternehmen hätten schon genug damit zu tun, Arbeit zu schaffen.(Mitleid!) An das Gebot des Grundgesetztes nach der "Sozialpflichtigkeit" der Unternehmen ihren Angestellten gegenüber erinnert sich Rogowski auch noch, doch dieser historische Kompromiß zwischen Kapital und Arbeit soll, ebenso wie andere demokratische und soziale Errungenschaften, aufgelöst werden. Schluß! Aus ! Ende! Ludwig Erhard und Konrad Adenauer waren linksliberale Weicheier und haben sich von den Gewerkschaften, linken Parteien und DDR über den Tisch ziehen lassen. Der Sozialstaat soll sterben; mehr Brutalität für mehr Profit - auch ein "Nie wieder!" Die so entstehende (oder drohende) Armut möge Ansporn zu "mehr Leistungsfähigkeit" sein, prophezeit der weise Industriellen Wahrsager. Aha! Das wird es gewesen sein, was der "Weimarer Republik" fehlte, um wenigstens eine stabile Demokratie zu werden.
Es ist Zeit für Richtigstellungen: Hetze auf Arbeiter und Gewerkschaften, Kommerzialisierung, Privatisierung und Entdemokratisierung sollen die Ausbeutung der Mehrheit verstärken, für höhere Gewinne. Das soll den Kapitalismus retten, sonst haben die Rogowskis, Krupps und Albrechts dieser Welt keine zig-Millionen und -Milliarden mehr auf ihren Konten; wäre doch schade. Dafür wird behauptet, totale Konkurrenz läge im Interesse aller. Dafür soll jede soziale Regulierung fallen. Rogowski und andere Kapitalvertreter hoffen auf die schwache Mobilisierung und ein schlechtes Gedächtnis der gesellschaftlichen Gegenkräfte - wenn neoliberale Mythen nur häufig und dreist genug erzählt werden, sollen sie wahr und historische Erfahrungen bisheriger Kämpfe vergessen werden. Werden sie aber nicht.
Richtig ist: Der west-deutsche Sozialstaat war und ist eine notwendige Schlußfolgerung aus dem Faschismus. Er beseitigte zwar nicht die wesentlichen Motoren des barbarischen Systems (die Großindustrie und die Großbanken), wie es eigentlich richtig gewesen wäre, setzt ihnen jedoch ein starkes Regulativ entgegen, um nie wieder einer auch nur ansatzweise vergleichbare Bestialität Einzug zu gewähren.
Die soziale Sicherung, bedarfsgerechte Gesundheitsversorgung, Arbeit, Bildung und Kultur für alle - das sind die Errungenschaften, die auszubauen sind. Solidarisch geführte soziale Kämpfe und kritische Interessenvertretung aus allen gesellschaftlichen Bereichen, auch aus den Hochschulen, müssen den professionellen Langfingern den Raub am gesellschaftlich erarbeiteten Reichtum unmöglich machen. Wenn der Sozialstaatskompromiß das nicht überlebt, dann weil die Bereicherung einer gesellschaftlichen Minderheit beendet wird.
Mit dieser Perspektive sind erhöhte Ansprüche durchzusetzen. Voraussetzung ist das Ende des Duldens.

V.i.S.d.P.: Niels Kreller, Schützenstr. 57, 22761 Hamburg.
Herausgegeben von: harte zeiten - junge sozialisten & fachschaftsaktive an der Universität Hamburg.
Veröffentlicht am Dienstag, den 12. Oktober 2004, http://www.harte--zeiten.de/artikel_194.html