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Systemwechsel

"Bei nüchterner Betrachtung bin ich überzeugt, es geht in vielen Bereichen nicht um eine Reform des Systems oder der Sozialsysteme, nicht einmal ein Umbau reicht aus, sondern es geht um nichts weniger als einen Systemwechsel; ein Systemwechsel, letztlich mit dem Gedanken, den Grundlagen der sozialen Marktwirtschaft wieder zum Durchbruch zu helfen. Diese Grundlagen sind: Freiheit, nicht nur als Selbstverwirklichung, sondern als Verantwortung für sich und die Nächsten, Markt als Prinzip, und soziale Gerechtigkeit als Ausdruck von Nächstenliebe."
(Ole von Beust, Rede vor dem Übersee-Club, 22. September 2003)

"Die bürgerlichen Revolutionen der Neuzeit haben Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit mehr beschworen als verwirklicht. Deshalb hat die Arbeiterbewegung die Ideale dieser Revolutionen eingeklagt: Eine solidarische Gesellschaft mit gleicher Freiheit für alle Menschen. Es ist ihre historische Grunderfahrung, daß Reparaturen am Kapitalismus nicht genügen. Eine neue Ordnung von Wirtschaft und Gesellschaft ist nötig."
(SPD-Grundsatzprogramm, Berlin 1989 / Leipzig 1998)

Mit der Kürzungsorige für die Haushalte 2005/2006 - genannt "Verantwortungsbewußte Konsolidierung" - realisiert der zweite Hamburger Rechtssenat unter Ole von Beust einen weiteren Teil des Leitbildes "Wachsende Stadt". Kürzungen beim HVV (Allgemeine Preiserhöhung und spezielle Kürzungen bei Fahrkarten für Schüler und Auszubildende), in der Arbeitsmarktpolitik, bei Jugend- und Bürgerhäusern sowie Öffentlichen Bücherhallen, der Filmförderung, Kuren für Kinder und beim Blindengeld, Gebühren für Studierende und Vorschulkinder werden nicht einfach beschlossen, weil kein Geld da ist, sondern weil schon die bescheidensten Ansätze von sozialstaatlicher Absicherung, emanzipativer Kultur und Bildung für Alle diesem Senat ein Dorn im Auge sind.

Zur Renditesteigerung der Kapitalanleger soll um jeden Preis ein günstiges Investitionsklima geschaffen werden. Die Filetstücke öffentlichen Eigentums werden privatisiert, Steuern und Abgaben für Unternehmen gesenkt, die Infrastruktur neu ausgerichtet und soziale wie ökologische Mindeststandards abgesenkt. Gleichzeitig wird der Druck auf jeden einzelnen erhöht, mit vollem persönlichen Einsatz die eigene Ausbeutbarkeit zu optimieren. Freiheit reduziert sich auf das Recht, sich auf dem Markt gegen andere durchzusetzen. Und allen, die in der zugespitzen alltäglichen Konkurrenz unterliegen oder einfach nicht bereit sind, das umfassende 'Jeder gegen Jeden' zum eigenen Maßstab zu machen, drohen Ausgrenzung und Verelendung. Soziale Leistungen werden beschränkt auf Almosen ("Nächstenliebe"), die keineswegs mehr zur Verbesserung der Bedingungen sondern nur noch zur Befriedung der sozialen Spaltung dienen sollen.

Dagegen regt sich notwendig Widerstand. Verschiedenste Gruppen wehren sich gegen die Zumutungen, die dieser Senat ihnen abverlangt. Doch solange dieser Unmut nur vereinzelt artikuliert wird, gelingt es, die Betroffenen gegeneinander auszuspielen und die radikale Zurichtung von Menschen, Infrastruktur und gesellschaftlichem Leben auf die Verwertungsanforderungen der Konzerne mit der Sachzwanglogik von scheinbar alternativloser Standortpolitik und Haushaltskonsolidierung durchzusetzen.

Deshalb müssen die Gemeinsamkeiten in der Ablehnung der Senatspolitik herausgearbeitet und fundiert begründet werden, damit sie Grundlage für eine gemeinsame Perspektive der solidarischen Gestaltung Hamburgs sein können. Hier kann und muss die Sozialdemokratie weltanschauliche und organisatorische Orientierung für eine gesellschaftliche Bewegung geben, die strategisch das Ziel verfolgt, allen Menschen ein Leben in Gleichheit, Freiheit und Frieden in einer solidarischen Gesellschaft zu ermöglichen. Notwendig ist hierbei die Kooperation mit den Gewerkschaften, kritischen Interessenvertretungen, sozialen und kulturpolitischen Initiativen und der Friedensbewegung. Der Kampf gegen die Politik der Rechten, die Analyse und Aufklärung über Ziele, Interessen und Strategien der gesellschaftlichen Gegner wie des eigenen Wirkens und der eigenen Reformen, die eine - wenn auch schrittweise, so doch substantielle - Humanisierung des Alltags bewirken, müssen dafür eine untrennbare Einheit sozialdemokratischer Politik bilden.

Die Alternative heißt: Sozialismus oder Barbarei. In jedem Fall: Systemwechsel.

V.i.S.d.P.: Niels Kreller, Schützenstr. 57, 22761 Hamburg.
Herausgegeben von: juso-hochschulgruppe & fachschaftsaktive an der Universität Hamburg.
Veröffentlicht am Samstag, den 19. Juni 2004, http://www.harte--zeiten.de/artikel_184.html