Menü | HomePublikationenharte zeiten › Flugblatt der juso-hsg vom

Bachelor und Zwischenprüfung

Mehr Prüfungen machen nicht mehr Bildung

Wissenschaft ist eine gesellschaftliche Tätigkeit; der Zweck dieser Tätigkeit besteht darin, wie Brecht seinen Galilei sagen läßt, "die Mühsal der menschlichen Existenz zu erleichtern". Wissenschaft ist also eine besondere Form gesellschaftlicher Arbeit, um Kausalzusammenhänge zu erkennen und zu beherrschen. Sie ist dazu da, daß die Menschen Fähigkeiten entwickeln, ihre Lebensbedingungen zu verbessern. Unsere Universität ist eine solche wissenschaftliche Einrichtung, an der jene Fähigkeiten gelehrt und erlernt werden sollen.

Wenn nun aber bestimmte Strukturen des Studiums dazu führen oder es zumindest befördern, daß einige Menschen erst gar nicht diese Fähigkeiten erlangen können, dann ist Wissenschaft nicht mehr ein Mittel zur Erkenntnis von gesellschaftlichen Verhältnissen und deren Gestaltung, sondern wird zum Mittel der Herrschaft und der Unterdrückung. Denn dort, wo soziale sowie ideologische Auslese betrieben wird, ist eine kritische Hinterfragung von gesellschaftlichen Verhältnissen nicht mehr gewollt, im Gegenteil, es sollen diese Verhältnisse gerade bestätigt und verfestigt werden. So ist es auch nicht verwunderlich, daß mit zunehmender Einflußnahme der Wirtschaft in die Bildung Strukturen durchgesetzt werden, die realisieren, daß die Wirtschaft nicht kritisiert, sondern daß ihr zugearbeitet wird.

Etikettenschwindel

In diesem Zusammenhang sind auch die an unserer Universität in großem Stile geplanten Umstrukturierungen zu erklären. Eine externe Beratungskommission schlug schon 1996 die Einführung Kurzzeitstudiengänge sowie erhebliche Veränderungen der Studienordnungen (z.B. verschärfte Zwischenprüfungen) vor, und spätestens seit den "Zielvereinbarungen", welche die Universitätsleitung mit der Wissenschaftsbehörde vertraglich abgeschlossen hat, steht fest, daß alles getan wird, um den "Wirtschaftsstandort Deutschland" zu sichern. Da wird dann als Argumentation vorgetragen, daß ein Kurzzeitstudiengang wie der Bachelor (BA) bessere Kompatibilität der Abschlüsse im internationalen Vergleich schaffen würde; jedoch wird einem ziemlich schnell klar, daß es sich hierbei lediglich um ein irreführendes Etikett handelt, das niemals eine Vergleichbarkeit der Abschlüsse, alleine schon aufgrund der so unterschiedlichen curriculae, herstellen könnte. Meist ist das Nichtanerkennen eines Abschlusses in einem anderen Land dem Mangel an Kommunikation unter den Hochschulen zuzuschreiben. Genauso wenig hält sich das Argument der 'Internationalisierung' durch den BA, man wolle ausländischen Studierenden einen Anreiz für ein Studium in Deutschland geben, wenn man einen Blick auf die Zulassungsbeschränkungen und die rigide AusländerInnengesetzgebung wirft, die vielen ausländischen Studierenden ein Studium in der Bundesrepublik verwehrt. Hinzu kommt, daß BaföG-EmpfängerInnen zukünftig mit einer Förderung nur bis zum BA werden rechnen können, wenn dieser als erster berufsqualifizierender Ausbildungsweg definiert wird. All dies macht deutlich, daß die Wissenschaft immer mehr zum Erhalt eines bestimmten Herrschaftsverhältnisses dienen soll, da der Bachelor "Studierende[r] aus den zur Zeit wirtschaftlich besonders dynamischen Ländern" (Zukunftsminister a.D. Rüttgers) anwerben soll und nur solche Qualifikationen vermittelt, die über eine marktkonforme Ausbildung (anstelle einer umfassenden Bildung) nicht hinaus gehen. Vorreiterrolle für diese Tendenzen übernimmt an unserer Universität zur Zeit der Fachbereich Sprachwissenschaften, der als erster am Campus den Bachelor eingeführt hat, der Seminare mit Zulassungsbeschränkungen und harten Aufnahmeprüfungen veranstaltet und der allgemein das Prinzip von Konkurrenz (unter Studierenden, Fachbereichen, Statusgruppen etc.) sich zu Eigen gemacht hat.

Elitenbildung statt Bildung für alle

Konkurrenz ist auch bei den geplanten Neuordnungen der existierenden Studiengänge (Magister, Lehramt), hier vor allem bei den Zwischenprüfungen, die ziehende Kraft der "Reformen". Läßt sich bei der Einführung eines gestuften Studiengangs die direkte Verbindung zur Marktorientierung der Universität leicht aufzeigen, so ist dies bei der Einführung verschärfter Zwischenprüfungen nicht auf den ersten Blick ersichtlich. Und doch greifen die Gesetze des Marktes auch dort. Schon lange wurde durch die Sparmaßnahmen im Bildungsbereich eine stille Auslese betrieben, die all diejenigen vom Studium ausschloß, die nicht das genügende Durchsetzungsvermögen für überfüllte Seminare, schlechte Betreuung, Bücherknappheit mitbrachten. Mit zusätzlichen Prüfungen am Ende des Grundstudiums soll nun endgültig eine Selektion vorgenommen und institutionalisiert werden - oder mit einem Euphemismus der "ReformerSprache" ausgedrückt: es soll den Studierenden ein Leistungsanreiz und eine "frühzeitige Entscheidungshilfe" gegeben werden. Studierenden wird ein völlig verändertes Lernverhalten nahegelegt, gar vorgeschrieben - fixiert darauf, Prüfungen zu bestehen, Leistung als etwas zähl- und auf dem Markt verwertbares zu definieren und sich von Beginn an eine Ellebogenmentalität anzueignen. Die Studienordnungen werden an diese Leistungsideologien angepaßt, oftmals auch noch mit dem Argument, verschlechterten Studienbedingungen entgegen wirken zu wollen. Dabei ist ersichtlich, daß solche Maßnahmen nun wahrlich nicht die bestehenden Probleme lösen, sondern sie im Gegenteil noch verschärfen durch eine Politik, die Bildung für alle vergessen hat, und statt dessen Elitenbildung setzt.

Das Konzil

Wissenschaft birgt immer die Möglichkeit sowohl für die Verbesserung gesellschaftlicher Verhältnisse als auch für die Affirmation bestehender Herrschaftsverhältnisse. Es muß also Ziel sein, möglichst viele Menschen zu befähigen, diese gesellschaftliche Arbeit zu verrichten und somit den oben formulierten Zweck der Wissenschaft zu erfüllen. Das Konzil, als höchstes Gremium der Universität, ist dazu da, die Frage nach dem gesellschaftlichen Nutzen von Wissenschaft zu diskutieren und dafür zu sorgen, daß die Institution Universität ihre Verantwortung für die Gesellschaft wahrnimmt. Deswegen ist es auch wichtig, daß Studierende ihre Vorstellung von Wissenschaftsaufgaben und -inhalten im Konzil formulieren und sich für Strukturen des Studiums einsetzen, die es ermöglichen, Universität zu einem "Ort lebenslangen Lernens [...] und ein[em] Raum der kulturellen, sozialen und politischen Auseinandersetzung" (Leitbild der Universität Hamburg) zu machen.

V.i.S.d.P.: Niels Kreller, Schützenstr. 57, 22761 Hamburg.
Herausgegeben von: juso-hochschulgruppe & fachschaftsaktive an der Universität Hamburg.
Veröffentlicht 1999, http://www.harte--zeiten.de/artikel_157.html