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Krieg und Frieden und Universität

Ohne Forscherehrgeiz kein Mord und Totschlag

Im Frühjahr 1999 während des NATO-Krieges gegen Jugoslawien beschloß das Konzil der Universität Hamburg einen "Dies academicus" mit dem Titel "Stell Dir vor: Es ist Krieg ..." durchzuführen. An diesem Tag wollte sich
die Universität mit ihrer Rolle in der Frage von Krieg oder Frieden auseinandersetzen. Und sie spielt eine entscheidende Rolle. Es macht einen Unterschied, ob Hochschulen im Dienste von Rüstungskonzernen das Strömungsverhalten von Torpedos untersuchen oder sich ein Institut für Friedensforschung leisten (die Universität Hamburg tut bequemerweise beides). Genauso, wie ohne Wissenschaft kein Krieg geführt werden kann (zumindest nicht auf dem Niveau der Massenvernichtungswaffen des 20. Jahrhunderts), kann es ohne Wissenschaft auch keinen Frieden geben, keine politische Lösung von Konflikten und keine Beseitigung der Kriegsursachen.

Ein Thema, über das in diesem Zusammenhang gegenwärtig kontrovers und hin und wieder auch wissenschaftlich gestritten wird, ist die Frage der Konsequenzen aus dem Jugoslawienkrieg. Heute müssen auch Kriegsbefürworter zugeben, daß es der NATO nicht gelingen konnte, Frieden herbeizubomben. Anstatt aber den Sinn solcher Angriffe in Frage zu stellen, diskutiert man in Politik wie Wissenschaft darüber, wie zukünftig noch effizienter angegriffen werden kann. Ein Mittel dazu soll die Reform der Bundeswehr sein.

Ob friedliche oder kriegerische Entwicklung - die Hochschulen tragen besondere Verantwortung und müssen ihren Beitrag leisten, beispielsweise in der Debatte um Form und Umfang einer deutschen Armee.

Wehrdienst abschaffen? Bundeswehr abschaffen!

Ein zentraler Streit entzündet sich
an der Frage der Wehrpflicht. Aber worauf
soll eine Abschaffung der Wehrpflichtarmee hinauslaufen? Sie allein wäre noch
kein friedenspolitischer Fortschritt. Zwar
wird die für einschneidende Abrüstungsschritte notwendige weitere Reduzierung der Bundeswehrsollstärke unter Beibehaltung der Wehrpflicht nicht zu erreichen
sein. Aber vor allem geht es um eine Professionalisierung und qualitative Aufrüstung der Bundeswehr. Auf dem Weg zu einer weltweit einsatzfähigen Interventionsarmee sind Wehrpflichtige eben eher ein Klotz am Bein. Nichts desto trotz bleibt die Wehrpflicht schon deshalb abzulehnen, weil sie ein Zwangsdienst mit eingeschränkten Grundrechten ist.

Die Vorschläge der vom Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg eingesetzten Kommission "Europäische Sicherheit und Zukunft der Bundeswehr", sind hier zwar fundierter und kritischer als manch anderer Beitrag - zuende gedacht sind aber auch diese nicht. Die Kommission stellt in ihrem Zwischenbericht fest, die Wehrpflicht sei verfassungswidrig, sie sei "ein so tiefer Eingriff in die individuelle Freiheit des jungen Bürgers, daß ihn der demokratische Rechtsstaat nur fordern darf, wenn es die äußere Sicherheit des Staates wirklich gebietet." - das heißt: wenn man keine akute Bedrohung der Bundesrepublik mehr feststellt, dann darf es auch keine Wehrpflicht geben. Diese Frage der Legitimation stellt sich aber
nicht nur für die Wehrpflicht, sondern
für die Bundeswehr insgesamt. In Artikel 87a des Grundgesetzes heißt es: "Der
Bund stellt Streitkräfte zur Verteidigung auf" - von einer Interventionsarmee ist da keine Rede. Nach den Erfahrungen des
zweiten Weltkrieges sollte von deutschem Boden nie wieder Krieg ausgehen,
deshalb verbietet das Grundgesetz
die Führung, ja selbst die Vorbereitung
eines Angriffskrieges. Wer feststellt, daß
die Bundeswehr zur Landesverteidigung
nicht gebraucht wird, muß sie abschaffen.
Die Abschaffung der Wehrpflicht müßte
also ein Schritt zur Auflösung der Bundeswehr sein - in der Mehrzahl der vorgeschlagenen "Reform"-Konzepte ist sie
das mitnichten.

Krieg privatisieren?

In einem Punkt stimmen fast alle in
der Diskussion befindlichen Vorschläge
überein: Bei der Bundeswehr müsse betriebswirtschaftliches Denken Einzug halten.
Alle Bereiche, die sich irgendwie profitorientiert betreiben ließen, müßten privatisiert
werden. Hier findet sich das gleiche Grundmuster, wie es auch in anderen
gesellschaftlichen Auseinandersetzungen propagiert wird: Sämtliche Lebensbereiche
werden kommerzialisiert und privatisiert,
auch solche, für die früher vertreten wurde,
sie könnten und sollten außerhalb kapitalistischer Marktlogik stehen (wie zum Beispiel
der Bildungssektor oder das Gesundheitswesen). Es wird schwer sein, die
im Vergleich zu anderen Armeen zumindest
teilweise demokratisierten Organisationsformen, die verhindern sollten, daß sich
mit der Bundeswehr ein Staat im Staate bildet, unter dem Druck betriebswirtschaftlicher Rationalisierung zu erhalten oder gar auszubauen.
Im übrigen wird damit aber auch
die Unterordnung der Bundeswehr unter Profitinteressen und Standortlogik noch unmittelbarer. Denn wie wir aus
den Auseinandersetzungen in der Hochschule nur all zu gut wissen, ist mit der Organisation nach marktförmigen, profitorientierten Prinzipien auch eine entsprechende Definition der Ziele verbunden. Wenn die Richtlinien des Bundesverteidigungsministeriums bereits 1992 feststellten,
eine wesentliche Aufgabe sei es, "den
ungehinderten Zugang zu Märkten und Rohstoffen in aller Welt" zu sichern, so ist dieser Schritt heute nur konsequent: Die Bundeswehr als militärischer Arm deutscher Wirtschaftsinteressen.

Europa als Konkurrent Amerikas ...?

In der Auswertung des Jugoslawienkrieges herrscht weitgehende Einigkeit darüber, daß Europa sich relativ willenlos in die Hände der amerikanischen Strategen begeben hat. Statt aber zu klären, wo aus europäischer Perspektive eine andere Richtung hätte eingeschlagen werden müssen, wird gegenwärtig vor allem diskutiert, wie Europa in die Lage versetzt werden kann, dasselbe zu tun wie die USA, nur ohne sie. Auf der Wunschliste der europäischen Planer stehen Beschaffungsvorhaben wie strategische Fernerkundungs- und Aufklärungsmittel, Abstandswaffen, zielsuchende Munition, Systeme zur Nachtkampfführung - Dinge, die zur krisenreaktiven Friedenssicherung ebenso überflüssig sind, wie zur selbständigen offensiven Kriegführung unerläßlich. Die Devise heißt: Sich durch Aufrüstung gegen die amerikanische Vorherrschaft zu behaupten.

... oder als zivile Friedensmacht?

Statt dessen müßte Europa eine Vorstellung davon entwickeln, wie eine zivile Friedenssicherung aussehen muß. Derartige Konzepte zur Friedenssicherung wird man wahrscheinlich auch gegen die Hegemonialinteressen der USA durchsetzen müssen, aber nicht als militärischer Konkurrent, sondern als zivile Friedensmacht. Denn der Jugoslawienkrieg (der ja selbst aus der Perspektive militärischer Interventionspolitik ein Desaster war) hat noch einmal deutlich gemacht, daß Kriegsursachen nicht durch Spionagesatelliten, Flächenbombardements oder Sondereinsatzkommandos beseitigt
werden können, sondern nur durch langfristig angelegte politische Prävention und Reaktion. Es ist eine Aufgabe von Wissenschaft und Forschung, solche tragfähigen Konzepte zu entwickeln und in die Debatte einzubringen.

Die Uni ist der Ort, hier sind
wir die Akteure, die sich zu verhalten
haben. Denn hier findet die Entscheidung statt. Was soll eine Hochschule, was soll eine Wissenschaft wert sein, die zur Frage von Leben und Tod, zu Krieg und Frieden nichts zu sagen hätte?

V.i.S.d.P.: Niels Kreller, Schützenstr. 57, 22761 Hamburg.
Herausgegeben von: juso-hochschulgruppe & fachschaftsaktive an der Universität Hamburg.
Veröffentlicht am Samstag, den 7. Oktober 2000, http://www.harte--zeiten.de/artikel_122.html