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Nicht egal

Wissenschaft muß demokratisch sein
Bildung als Ware statt als Fundament der Demokratie?

Soziale Ungleichheit, Armut, Arbeitslosigkeit, Diskriminierung, Krieg und Umweltzerstörung als Gegenstände wissenschaftlicher Erforschung zu thematisieren und damit Grundlagen für eine humane Gesellschaftsentwicklung zu schaffen, erscheint jedermann sinnvoll und einleuchtend. Das erfordert allerdings, daß alle Hochschulangehörigen (Studierende, Personal und Profs) für eine verantwortungsvolle Wissenschaftsentwicklung in Forschung und Lehre wirken können.

Durch die dauerhafte Unterfinanzierung der Hochschulen wird hingegen die Entscheidung über Forschungsschwerpunkte und Studiengänge immer stärker privaten Sponsoren angetragen. Diese finanzieren Lehre und Forschung in Bereichen, die ihnen Ergebnisse der Grundlagenforschung und qualifiziertes wissenschaftliches Personal zur Verfügung stellen.

Solche Förderungen sind an die Maßgabe
geknüpft, daß die Universität nach einigen Jahren
die Finanzierung eigenständig fortführt; neustes Beispiel sind die Stiftungsprofessuren für Bioinformatik. Die Universität ist so gezwungen,
um diese Möglichkeiten zu erhalten, spätestens
bei Ende der Förderung, Geld aus anderen Bereichen abzuziehen. Funktion dieses Wissenschaftssponsorings ist es, den finanziellen Druck dafür zu nutzen, die Hochschulen auf die Produktion marktgängigen Wissens festzulegen. Den 'Sponsoren' sollen Forschungskosten erspart und Konkurrenzfähigkeit durch spezifische Forschungsleistungen ermöglicht werden. Entscheidendes Kriterium für die Nützlichkeit solcher Lehre und Forschung ist mithin ihre Verkäuflichkeit, nicht der langfristige gesellschaftliche Nutzen.

Dieses Ziel läßt sich jedoch nur gegen Hochschulangehörige durchsetzen, die den humanistischen Anspruch in Bildung und Wissenschaft als eigenes, gemeinsames Interesse immer neu entwickeln. Durch Sachzwang-Argumentationen, erhöhten Konkurrenzdruck und Behinderung demokratischer Auseinandersetzung werden ihre Möglichkeiten zur Einflußnahme stark eingeschränkt. Nicht genug, daß die Wissenschaftsbehörde die Abschaffung der meisten demokratischen Kontrollen innerhalb der Hochschulen vorschlägt, schon jetzt
wird in der Universität die Legitimität der Gremien der Selbstverwaltung in Frage gestellt.

Die Geringschätzung des Engagements von Hochschulmitgliedern in der akademischen Selbstverwaltung findet auch Ausdruck in der mangelhaft organisierten demokratischen Beteiligung. Durch Sparmaßnahmen im Verwaltungsbereich wird die Ankündigung und Durchführung von Wahlen zu Instituts- und Fachbereichsräten erschwert und fehlerhaft. Das Outsourcing einzelner Verwaltungsabläufe und Stellenstreichungen im Wahlamt führen jedes Jahr stärker zu Unregelmäßigkeiten; Wahlanfechtungen und -wiederholungen häufen sich. Dieses Jahr gibt es z.B. fehlerhafte Stimmzetteln oder nicht aufgeführte Kandidierende.

Die dann trotz allem gewählten Gremienmitglieder sind mangels ausreichender Unterstützung aus der überlasteten Verwaltung meist selbst gehalten, neben der Realisierung hochwertiger Forschung oder eines umfassenden Studiums, sich selbst relevante Informationen zu beschaffen, um qualifiziert und zügig über Fragen der Fach- oder Hochschulentwicklung entscheiden zu können.

Dieser Umstand wird sich von Wirtschaftslobbyisten zu Nutze gemacht, indem unterstellt wird, demokratische Gremien könnten nicht effizient genug entscheiden; wer sie verteidigt wird als "beharrende Kraft" diskreditiert und als "fortschrittsfeindlich" dämonisiert.

Anstatt sich dem entgegen für einen demokratischen Ausbau der Hochschulen einzusetzen, wiederholt der Universitäts-Präsident munter den antiwissenschaftlichen Affekt der Handelskammer: Er diffamiert die demokratische Massenuniversität (repräsentative Mitbestimmungsgremien, soziale Offenheit, Fächervielfalt und kritischer Gesellschaftsbezug der Wissenschaften) als Moderne-untaugliches Monstrum und verwirft sie zu Gunsten einer unternehmerischen Strukturierung mit zentralistischer Machtkonzentration in den Leitungsgremien. Erst kürzlich verlautbarte er in einer Sitzung des Akademischen Senats der Uni, die Unregelmäßigkeiten bei der Wahl zu den Fachbereichsgremien beweise die Unzumutbarkeit und das Unzeitgemäße von Wahlen, die es den Hochschulangehörigen ermöglichen, über ihre VertreterInnen in den akademischen Gremien selbst zu bestimmen.

Lüthjes Anliegen bei der dieses Jahr anstehenden Debatte um eine universitäre Grundordnung, welche die Verfahren zur Willensbildung über Ausrichtung und Organisation von Forschung und Lehre neu regeln soll wird daher sein, die Beteiligungsmöglichkeiten der akademischen Basis zu Gunsten persönlicher Macht und des Einflusses hochschulexterner, privatwirtschaftlicher Interessenvertretungen weiter zurückzudrängen.

Ziel fortschrittlicher Hochschulpolitik muß es aber sein, diese Umstrukturierung abzuwehren und in Kooperation von Studierenden, Angestellten und ProfessorInnen die Möglichkeiten der demokratischen Auseinandersetzung über Inhalt und Strukturierung von Lehre und Forschung auszubauen. Dabei ist eine Stärkung der Organe der Verfaßten Studierendenschaft, eine institutionelle Absicherung der Gremientätigkeit durch Ausbau der damit befaßten Verwaltungseinheiten und eine Demokratisierung der Selbstverwaltungsgremien durch höhere Beteiligung nicht-professoraler Gruppen anzustreben.

Die Wahlen zum Studierendenparlament bieten
die Gelegenheit, über Orientierung und Offensivität studentischer Politik im Kampf um einen
demokratischen und sozialen Ausbau der Hochschulen zu entscheiden. Mehr Bestimmtheit für mehr Mitbestimmung.

V.i.S.d.P.: Niels Kreller, Schützenstr. 57, 22761 Hamburg.
Herausgegeben von: juso-hochschulgruppe & fachschaftsaktive an der Universität Hamburg.
Veröffentlicht am Montag, den 22. Januar 2001, http://www.harte--zeiten.de/artikel_107.html