Menü | HomeAnträge und BeschlüsseZum Geleit › vom

Zum Geleit VI

Benimm?!

oder: Der klare Kurs zu den Mitmenschen

[Kommentar zum Hintergrund: Wenn es um eine sozial verantwortliche und demokratische Entwicklung der Universität geht (zum Beispiel mit dem Kampf gegen Studiengebühren, mit einer beteiligungsorientierten Geschäftsordnung der Gremien oder gesellschaftlich verantwortungsbewußter Forschungsförderung), dann ist professoraler Standesdünkel ein ernstes, uraltes Hindernis. Braves Stillhalten wird dann gelegentlich zur höchsten menschlichen Tugend erklärt:]

1) Verhaltenheit

"Nicht Zutreffendes streichen
Was deine Stimme so flach macht
so dünn und so blechern
das ist die Angst
etwas Falsches zu sagen

oder immer dasselbe
oder das zu sagen was alle sagen
oder etwas Unwichtiges
oder Wehrloses
oder etwas das mißverstanden werden könnte
oder den falschen Leuten gefiele
oder etwas Dummes
oder schon Dagewesenes
etwas Altes

Hast du es denn nicht satt
aus lauter Angst
aus lauter Angst vor der Angst
etwas Falsches zu sagen

immer das Falsche zu sagen?"
Hans Magnus Enzensberger, ,,Die Furie des Verschwindens“, Gedichte, 1980.

Die jüngere Entwicklung macht unsicher - Gewonnenes, Gewohntes, Geschätztes wird zerbrochen, aufgelöst. Das Neue wirkt bedrängend. Wer den Kopf aus dem Fenster reckt, wird ausgelacht. Weitermachen. Schweigen. Innerlich sprechen. Verbittern? Wieder sprechen? Und: Widersprechen? Andere, weil anderes entdecken?

2) Gereiztheit

"Ein Mann will ein Bild aufhängen. Den Nagel hat er, aber nicht den Hammer. Der Nachbar hat einen. Also beschließt unser Mann, hinüberzugehen und ihn auszuborgen. Doch da kommt ihm ein Zweifel: Was, wenn der Nachbar mir den Hammer nicht leihen will? Gestern schon grüßte er mich nur so flüchtig. Vielleicht war er in Eile. Aber war die Eile nur vorgeschützt, und er hat was gegen mich. Und was? Ich habe ihm nichts angetan; der bildet sich da etwas ein. Wenn jemand von mir ein Werkzeug borgen wollte, ich gäbe es ihm sofort. Und warum er nicht? Wie kann man einem Mitmenschen einen so einfachen Gefallen abschlagen? Leute wie dieser Kerl vergiften einem das Leben. Und dann bildet er sich noch ein, ich sei auf ihn angewiesen. Bloß weil er einen Hammer hat. Jetzt reicht's mir wirklich. - Und so stürmt er hinüber, läutet, der Nachbar öffnet, doch noch bevor er >Guten Tag< sagen kann, schreit ihn unser Mann an: >Behalten Sie sich Ihren Hammer, Sie Rüpel!<"
Paul Watzlawick, ,,Anleitung zum Unglücklichsein“, ,,Die Geschichte mit dem
Hammer“, 1990, S. 37f.

Wer in das Dasein von Nachbarn, Kollegen und Mitgliedern derselben Einrichtung per se den Feind hineinphantasiert, hat gegen die Drangsale und ihre Verursacher sowie die Verantwortlichen schon verloren. Die Möglichkeiten des befreienden Erkennens und Zusammenwirkens sind so selbstverschuldet vertan. Der Beschimpfte steht da und kann das hilfreiche Werkzeug nicht geben.

3) Konfliktfähigkeit

"29.
Lerne Widerspruch ertragen! Sei nicht kindisch eingenommen von Deinen Meinungen! Werde nicht hitzig noch grob im Zanke! Auch dann nicht, wenn man Deinen ernsthaften Gründen Spott und Persiflage entgegensetzt! Du hast, bei der besten Sache, schon halb verloren, wenn Du nicht kaltblütig bleibst und wirst wenigstens auf diese Art nie überzeugen."

Adolph Freiherr von Knigge, ,,Über den Umgang mit Menschen“, Erstes Kapitel - ,,Allgemeine Bemerkungen und Vorschriften über den Umgang mit Menschen“, 1790.

Erkenntnisgewinnung braucht Position, Argument, Streit, Widerlegung, Einsicht und handelndes Übereinkommen.
Danach: Innehalten, Überprüfung, Neugewinnung von Einsichtsschärfe und erweiterte Befähigung zum kooperativen Tätigsein.
Der gemeinsame Nutzen ist das - kontrovers gewonnene - Gemeinsame.

4) Rationale Heiterkeit

"Ich kenne keinen blendenden Stil, der seinen Glanz nicht von der Wahrheit mehr oder weniger entlehnet. Wahrheit allein gibt echten Glanz und muß auch bei Spötterei und Posse, wenigstens als Folie, unterliegen."
Gotthold Ephraim Lessing, “Anti-Goeze - Zweiter”, 1778.

Die Eleganz des Gedankens besteht in seiner Zutreffendheit und Schaffung von Perspektive. Die Wahrheit steht im Einklang mit dem allgemeinen Nutzen. Sie muß gegen Drohungen und Einschränkungen aller Art gewonnen werden. Ehrlich ist, wer über Hemmnisse und Gegnerschaften zur Vernunft spricht. Spott sei den Verschleierungen. Der rationale Zugang zu den Mitmenschen ist dauerhaft heiter.

Golnar Sepehrnia, Olaf Walther
Hamburg, den 12. Januar 2005

Veröffentlicht am Mittwoch, den 12. Januar 2005, http://www.harte--zeiten.de/dokument_431.html