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Aufdringliches Kaufen und Verkaufen oder Emanzipation?

„Wenn wir eine Idee bezeichnen wollen, die durch die ganze Geschichte hindurch in immer mehr erweiterter Geltung sichtbar ist; wenn irgendeine die vielfach bestrittene, aber noch vielfacher mißverstandene Vervollkommnung des ganzen Geschlechtes beweist: so ist es die Idee der Menschheit, das Bestreben, die Grenzen, welche Vorurteile und einseitige Ansichten aller Art feindselig zwischen die Menschen gestellt, aufzuheben; und die gesamte Menschheit ohne Rücksicht auf Religion, Nation und Farbe als einen großen, nahe verbrüderten Stamm, als ein zur Erreichung eines Zweckes, der freien Entwicklung innerer Kraft, bestehendes Ganzes zu behandeln. Es ist dies das letzte, äußere Ziel der Geselligkeit und zugleich die durch seine Natur selbst in ihn gelegte Richtung des Menschen auf unbestimmte Erweiterung seines Daseins.“

Wilhelm von Humboldt.

Die gemeinschaftliche Aufklärung über die menschlichen Lebensverhältnisse war der Impetus der Bildungsreformen, die in einer kurzen Phase der Krise des preußischen Militärstaatswesens unter dem Druck der französischen Revolution in deutschen Landen begonnen wurden. Nachwirkungen wie die Einheit von Forschung und Lehre, die Wissenschaftsfreiheit, die Universalität der Wissenschaften (Fächervielfalt und Interdisziplinarität), die Förderung der Mündigkeit und die friedliche Überwindung sozialer und kultureller Grenzen sind noch als positive Ansprüche erhalten. Sie wurden nach 1945 durch die Befreiung vom Faschismus und 1968 ff. durch authentische Bildungsreformen auf eine neue Stufe gehoben und bekräftigt.

Die heutige rabiate Zurichtung auf die ökonomische Verwertung im Interesse einer gesellschaftlichen Minderheit steht der notwendigen sozialen Verwirklichung dieser progressiven Ziele diametral entgegen. Kennzahlen, Prüfungsdruck, Studiengebühren, „Leitungs“- und Leistungsgemurmel und „Effizienz“-Huldigung sowie kommerzielle Rangelei sind das Gegenteil einer aufgeklärten Bildung und Wissenschaft.

Ein besonders hanebüchener Ausdruck dieser Entwicklung ist die derzeitige Vollverkleidung der Juristischen Fakultät der Humboldt-Universität in eine Bionade-Reklame. Recht und Gerechtigkeit, die zumindest formale Gleichheit der Menschen vor dem Gesetz, verdunkelt durch ein überdimensioniertes Werbebanner. Dot com.

Zunehmend schrill ist auch die kommerzielle Okkupation der Hochschulen. „Feiern“ und Konsumieren für das „fun for fit“. Die Botschaft: Du bist, was Du hast beziehungsweise was Du trinkst. Prüfungsstreß, alltägliche Hektik, soziale Unsicherheit, permanente Gereiztheiten und die inhaltliche Armut von Wissenschaften, die auf die Perspektive einer besseren Welt zu verzichten hätten, sollen verdrängt und Aufbegehrende befriedet werden. So organisiert man Depressionen. Die Psychologen wundern sich.

Diese glitter-kaschierte Menschenfeindlichkeit verdient allerorten eindeutig Contra. Studentische Interessenvertretung und akademische Gremien sollten deshalb wieder für den aufklärerischen, gesellschaftskritischen Einfluß von Bildung und Wissenschaft wirken: gegen eine strenge Erziehung zu dauerlächelndem Verwertungsgehorsam und ausgefahrenen Ellenbogen; für die Überwindung von Ausbeutung, Konkurrenz und Entfremdung und damit für das mehrheitliche, solidarische Engagement für eine menschenwürdige Gesellschaft. Nützliche (geistige und materielle) Produktion, solidarische Kooperation, eine kritische und heitere Zusammenarbeit der Wissenschaften für die unbegrenzte gesellschaftliche Entfaltung des Menschen – kurz: eine engagierte Renaissance der Vernunft ist die Herausforderung unserer Zeit.