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Aktive Demokratie und Realisierung der Grundrechte

Ganz ohne Verschwörung und ihre Ideologien

„Demokratie ist viel mehr als eine Wahl. Eine richtige Demokratie findet an jedem Tag statt, sie findet statt im mühsamen Begründen, Streiten und Aushandeln – wenn, ja wenn nicht gerade Corona und also das Sich-Versammeln schwer ist, das Demonstrieren auch. „Teams” und „Zoom” und Videokonferenzen werden im Moment gefeiert. „Endlich!” sagen viele, „endlich kommen die Leute darauf, dass man Verhandlungen auch via Bildschirm führen kann.” Aber je länger das währt, umso mehr wird auch spürbar, dass diese Art der Diskussion kein Ersatz ist, sondern ein Behelf. Videokonferenzen sind keine wirkliche Begegnung. Dazu gehört das Nebengespräch mit dem Nachbarn, die Verständigung über Blicke und Gesten, das informelle Gespräch in der Pause. Demokratie stellt nicht soziale Distanz her, Demokratie will soziale Distanz überwinden. (...) Heute, in Corona-Zeiten, treiben leider Heuchler mit dem Wort „Grundrechte” Schindluder. Es beschwören auch solche Leute die Grundrechte, die diese Grundrechte sonst verlachen und verhöhnen. Rechtsextremisten tun so, als müssten sie, ausgerechnet sie, jetzt die Grundrechte schützen. (...) Ein Grundgesetz, das solche Freunde hat, braucht keine Feinde mehr. (...) Wir brauchen Demonstrationen, vielleicht gar nicht so sehr solche, die allgemein „für die Grundrechte” und fürs Demonstrieren demonstrieren. Wir brauchen Mahnwachen, wie sie etwa der katholische Pfarrer Peter Kossen vor der Firma Westfleisch in Coesfeld abgehalten hat. Das sind die Demonstrationen, die bitter notwendig sind: gegen Arbeitsbedingungen in der Fleischindustrie, die an Sklaverei grenzen. Hier lernt man, dass die Beachtung von Grundrechten (hier: die Einhaltung von guten Arbeitsbedingungen) dem Schutz vor Corona dient. Und man wird erinnert, dass all die Probleme, die die Menschen vor der Pandemie auf die Straße getrieben haben, durch das Virus nicht erledigt sind, sondern vielfach verschärft werden. Es braucht weiterhin Menschen, die ihretwegen öffentlich Krach schlagen.“

Heribert Prantl, „Demonstrationen in bizarren Zeiten (Verschwörungstheorien sind keine Theorien, sondern Idiotien. Und die Grundrechte sind das Beste, was wir haben. Warum man sie nicht den Extremisten überlassen darf)“, „Süddeutsche Zeitung“ („SZ“), 17.5.2020.

„Der deutsche Mensch ist kein Teufel, wie manche behaupten, aber er ist auch kein Erzengel, blondgelockt im arischen Silberharnisch, sondern ein Mensch wie alle; und als Mensch und Bruder seiner Mitmenschen muß er wieder zu leben lernen.“

Thomas Mann, Rundfunkreden von 1940-1945 aus dem Exil, hier 1. Mai 1944.

AfD, Pegida & Co. KG sind keine Freunde des Grundgesetzes bzw. der Grundrechte. Sie sind das Gegenteil von Antifaschismus, keine Gegner von Diktatur, Krieg, Rassismus, brutalen Vorurteilen und primitiver Geschichtsklitterung; sie sind keine Freunde von Frieden, sozialer Gerechtigkeit, internationaler Solidarität, ökologischer Vernunft, allgemeiner Gesundheit, keine Anhänger von kultiviertem Umgang, wissenschaftlicher Erkenntnis und der Gleichberechtigung der Menschen. Humanismus ist ihnen ein Zeichen von Schwäche. Sie nutzen die soziale Verängstigung mittels durchschaubarer Heuchelei skrupellos aus.

Dabei gibt es viel zu klären, zu bewegen und zu ändern: Wie stellen wir verantwortlich das gesellschaftliche Leben – auf neuer Entwicklungsstufe – wieder her? Wie ist die Stärkung des Gesundheitswesens (in öffentlicher Hand!) zu realisieren? Wie gelingen Frieden, Abrüstung und internationale Kooperation zur Behebung des Elends? Wie ist dem negativen Klimawandel seriös und nachhaltig zu begegnen? Welchen neuen Rang gewinnen soziale Frühentwicklung, schulische Bildung und wissenschaftliche Bildung für die solidarische und aufgeklärte Qualifikation mündiger Subjekte? Wer trägt die Kosten der Krisenbewältigung? Sind Kunst, Kultur und die Wissenschaften systemrelevante Lebensmittel? Ist Politik, also die menschenwürdige Gestaltung des Allgemeinen und Besonderen, eine Angelegenheit Aller? Welchen überindividuellen Sinn hat das Leben? Erhält der Alltag eine freundliche Gestalt?

All dies sind zu beantwortende Fragen, die im näheren sozialen Umfeld, in Parteien, Gewerkschaften, in Gremien der Interessenvertretung (auch an der Uni!), ja, auch auf der Straße, zunehmend zur Diskussion und zur Klärung respektive zu neu dimensionierten gemeinsamen Aktivitäten auf der gesellschaftlichen Tagesordnung stehen. Hier sind Alle wichtig und können neu an Bedeutung gewinnen. Das Ewig-Gestrige mag dabei klagvoll vergehen.