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Scheinbar neu: Eine exemplarische Kontroverse um öffentliches Bauen

„Der Hamburger Wirtschaftsprofessor Lothar Streitferdt, der sich seit 30 Jahren mit Fragen der öffentlichen Finanzierung befasst, verweist darauf, dass das Problem explodierender Baukosten auch in der Privatwirtschaft besteht. »Hauptmangel ist, dass sich der Umfang komplexer Bauvorhaben im Vorfeld schwer kalkulieren lässt und dass die Baufirmen bei den Ausschreibungen immer dazu gezwungen sind, ein möglichst knapp bemessenes Angebot abzugeben.« Einen Unterschied gebe es zwischen privaten und öffentlichen Bauvorhaben dennoch: »Stellt man fest, dass die Kosten aus dem Ruder laufen, werden private Bauvorhaben verkleinert. Der Staat schießt die fehlende Summe hingegen nach.«

Die Welt, „Warum kann die Stadt nicht richtig planen?“, 6. September 2008.

Die Kosten der Elbphilharmonie – ein elitäres Bauprojekt – explodieren. Durch die ökonomische Konkurrenz sinken der Realitätssinn und die Planungsredlichkeit der Beteiligten. Hier offenbart ein allgemeines Problem seine schädliche Konkretion. Ähnliches wäre für die von der Wissenschaftssenatorin geplante Verlagerung der Universität zu erwarten. Neue Uni-Bauten würden angeblich nur 400-500 Millionen Euro kosten. Tatsächlich sind an der Uni (ohne UKE) jüngst ca. 160 Mio. Euro zur Teilsanierung investiert worden. Neben dem Geomatikum steht ein ganz neues Zentrum für maritime und atmosphärische Wissenschaften (ZMAW). Auch wird dort ein älteres Gebäude für 30 Mio. Euro umgebaut und für mindestens ebenso viel Geld zum Klimarechenzentrum umgerüstet. Der für die Umsiedlung in Aussicht genommene Kleine Grasbrook (südlich der Hafencity) ist – ÖPNV-mäßig kaum erschlossen – zu klein, um eine Erweiterung der Uni zu ermöglichen, der Boden ist infolge der Hafenwirtschaft vermutlich gründlich verseucht. Hochwassernasse Füße wären einzuplanen. Die Umsiedlungkosten für Studierendenwerk und StaBi sind nicht einkalkuliert worden. Schlecht und teuer schließen sich also überhaupt nicht aus.

Die CDU-Pläne sind eine dümmliche Kampfansage. Das architektonisch gefaßte Erbe der tatsächlichen Reformuniveristät (große Gebäudekapazitäten für soziale Offenheit; historisches Gedenken wie für den Hamburger Zweig der Weißen Rose im Audimax; viele kleine Räume für kleine Lerngruppen; bedarfsorientiert gestaltbare Verfügungsgebäude; für Proteste / Feiern / Ausstellungen / gestaltbare Foyers etc.) soll verscherbelt werden, um eine hierarchisch strukturierte Retortenuniversität zu errichten. Möglichst abwaschbar. Mindestens soll die Uni für ein Private-Public-Partnership mürbe gemacht werden. Das haben Senatorin und senatskonforme Uni-Präsidentin immer fest im Visier.

Das zweckmäßig Gute soll also einer zweifelhaften Phantasterei weichen? Kein Wunder, daß die Erinnerung an humanistische Streiter wie Carl von Ossietzky, Martin Luther King und Salvador Allende durch die nach ihnen benannten Gebäude und Plätze das Unbehagen der strammen Konservativen gegenüber der Universität Hamburg fördert. Sie schwärmen für plattes „Hanse-Retro“, Stahl, Glas und glatte Oberflächen am Windhoek-Kai: technisierte Romantik in schlechter deutscher Tradition! So soll’s von der errungenen Kultur einer halbwegs demokratischen Massenuniversität in die Barbarei einer entseelten Lernfabrik gehen.

Aus diesen Gründen regt sich erheblich Widerstand an der Universität und in den angrenzenden Stadtteilen. Gegen die Umsiedlung der Universität sind bisher schon über 3.000 Unterschriften gesammelt worden (Stand 13.09.2008). (www.uni-bleibt.de)

Soweit die Konkurrenz dominiert, fällt es schwer, sich vernünftig bzw. verantwortungsvoll mit seinen Mitmenschen darüber zu verständigen, was für Alle das Vorteilhafteste ist. Konkurrenz ist dem humanen Fortschritt wesensfremd. Gegen diese nicht menschenwürdige Dominanz sind Wissenschaft, Alltagskultur und politisches Engagement wieder neu zu bestimmen.

Die Senatorin und die Präsidentin könnten ihrem Unbehagen mit der historisch gewachsenen Universität schnell wirksam und kostensparend Abhilfe verschaffen: Sie sollten zurücktreten.