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Konsumentenfreiheit statt Demokratie?

Gegen die hochschulpolitische Augenwischerei

„Hamburger Studenten können künftig diejenigen Lehrpersonen belohnen, die sie für besonders fähig halten - und das zahlt sich für die Professoren richtig aus. Wissenschaftssenatorin Herlind Gundelach (CDU) und die Präsidenten der sechs staatlichen Hochschulen haben am Freitag einen neuen, mit 140 000 Euro dotierten Lehrpreis ausgelobt. [...] »Gute Lehre ist eine Dauerverpflichtung für jede Hochschule, die im Wettbewerb um Exzellenz und die klügsten Köpfe im Land bestehen will«, sagte Gundelach. Sie zu steigern, sei eine der zentralen wissenschaftspolitischen Herausforderungen der Gegenwart. [...].“
Die Welt, „Studenten können ihre Professoren künftig belohnen“, 22. November 2008

„Ich sehe auf dem freien Markt keine Bude, an der Solidarität angeboten wird.“
Heinrich Böll, „Ein paar Worte über ein paar Wörter, die uns dauernd um die Ohren fliegen“, 1983.

„Freiheit“ und „Exzellenz“ sind Kampfbegriffe neoliberaler Hochschuldeformen. Werden sie herausgestellt, geht es meistens der Demokratie und vernünftiger Kooperation zugunsten „der Wirtschaft“ an den Kragen.

Zentral für diese Umorientierung sind „Noten“. Sie sind willkürlich, weil sie den Aneignungsprozeß, der immer kooperativ ist und seine sozialen und kulturellen Voraussetzungen hat, scheinbar individualisieren und menschliche Fähigkeiten, Motive und Hervorbringungen quantifizieren. Sie dienen der Normierung, um es späteren Arbeitgebern zu erleichtern, unter den Absolventen auszuwählen. Noten schüchtern deshalb ein, weil sie vermeintlich entscheidend sind für den weiteren sozialen „Werdegang“, auch Aufstieg genannt. Soziale Unsicherheit, die nur durch solidarische Kämpfe überwunden werden kann, soll so individualisiert wahrgenommen und durch Anpassung an fremdgesetzte Normen beantwortet werden.

Noten schüren die Konkurrenz, anstatt solidarisches Lernen zu fördern und sind deshalb eine Hürde für Kooperation als Voraussetzung dynamischer wissenschaftlicher Erkenntnisprozesse. Die Leistungshetze wirkt oft demotivierend und verschärft die soziale Auslese im Studium - zusätzlich zu den Gebühren.

Das wird eher verstärkt als geändert, wenn Studierende „ihren“ Profs ebenfalls Noten geben.

Die BA/MA-Studiengänge sind nun voll gepropft mit dieser dumpfen Marter. Sie sollen so schnell auf ökonomisch verwertungstaugliches „Wissen“ trimmen. So ist Studium weder allgemeinwohlorientiert noch dient es - im Einklang damit - der persönlichen Entfaltung. Hier besteht der eigentliche „Reform“bedarf.

Die selbsternannten Instanzen „exzellenter“ Wissenschaftspolitik hingegen loben „Credit-Points“ und „Noten“, als herausragende Mittel (studentischer) „Selbstkontrolle“ und „Evaluationen“, „Rankings“, „Wettbewerb“ und sogar Studiengebühren als Stärkung der Einflußnahme auf die Entwicklung von Lehre und Studium.

Im Vergleich zu der in den 1960ern und 1970ern erkämpften entscheidungsrelevanten und kollegialen Mitbestimmung in demokratisch gewählten Gremien übersteigen allerdings diese „Steuerungsmittel“ nicht das Niveau von Kundenbefragungen bei McDonalds.

Demokratie und Solidarität sind prinzipiell von der Tauschkultur des Marktes verschieden.

Das streitbare Engagement für gemeinsame soziale und kulturelle Interessen macht den wesentlichen Unterschied.


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V.i.S.d.P.: Niels Kreller, Schützenstr. 57, 22761 Hamburg.
Herausgegeben von: harte zeiten - junge sozialisten & fachschaftsaktive an der Universität Hamburg.
Veröffentlicht am Dienstag, den 25. November 2008, http://www.harte--zeiten.de/artikel_795.html