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Liberal oder sozial?

"Sind wir doch mal ehrlich. Gebühren kommen. Das kannst Du gut oder schlecht finden. Aber anstatt gegen
Windmühlen zu kämpfen setzen wir uns für ein sozialverträgliches Modell ein. Das heißt: Du musst Dir Dein
Studium leisten können - egal woher Du kommst und egal was Deine Eltern verdienen. Maximum: 500 Euro pro
Semester. Und: Jeder zusätzliche Euro muss Deine Studienbedingungen verbessern. Rückzahlung natürlich erst,
wenn Du genug verdienst."

Aus dem aktuellen Flyer der Liberalen Hochschulgruppe (LUST) zur SP-Wahl 2006.

"Freiheit bedeutet für den modernen Liberalismus ... nicht länger die Freiheit eines aus der Gesellschaft herausgedachten,
dem Staate entgegengesetzten autonomen Individuums, sondern die Freiheit jenes autonomen
u n d sozialen Individuums, wie es als immer zugleich einzelhaftes u n d gesellschaftliches Wesen in Staat und
Gesellschaft wirklich lebt. ... Liberalität und Demokratie auch in der Sphäre der Gesellschaft, wie zuvor in der
Sphäre des Staates, aus dem gleichen revolutionären Gedanken der Menschenwürde und Selbstbestimmung,
um den alle Verwandlung schon des unfreiheitlichen Obrigkeitsstaates in einen freiheitlichen Rechtsstaat sich
dreht, führt zu einer grundlegenden Veränderung des überkommenen und unfreiheitlichen Ständestaates oder
Klassenstaates hin auf einen freiheitlichen Sozialstaat."

Aus den "Freiburger Thesen der F.D.P. zur Gesellschaftspolitik" von 1971, dem ersten F.D.P.-Grundsatzprogramm.

Sind wir doch mal ehrlich: Fatalismus ist langweilig.
Entsprechend bieder ist das gesellschaftliche Programm,
das die Liberale Hochschulgruppe ihren bunt
umworbenen Wähler-Kunden verkaufen will. Voll auf
der Westerwelle surfen die liberalen Sunnyboys and -
girls ideologisch zurück über Heintje in die 1950er
Jahre. Ludwig Ehrhard würden sie am liebsten posthum
dafür exkommunizieren, daß er trotz seiner restaurativen
Relativierung aller sozialen Schlußfolgerungen aus
der Befreiung von 1945 den Begriff "soziale" Marktwirtschaft
etablierte. Weg mit dem Sozialstaatsklimbim der
1970er Jahre: Gesellschaft ist was den Individuen die
Freiheit raubt, Staat ist Unterdrückung und gute Politik
ist "wenn Du genug verdienst".

Hochschulpolitisch sind sie konsequent auf Dräger-
Linie. 500 Euro allgemeine Studiengebühren kommen
sowieso, weil ,der Standort' es so will - sind also richtig.
"Sozialverträgliches Modell" bedeutet Darlehensfinanzierung
mit kräftigen Kreditgewinnen für die
Banken und am besten wandelt man die Unis sowieso
in Stiftungen um, die direkt durch Unternehmensspenden
finanziert werden, weil ,die Wirtschaft' ja
ohnehin das Sagen hat - und haben soll. Das nennt
sich dann "in der Realität etwas bewegen" (Hauptslogan
der LHG/LUST).

Realität ist: Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit, das
heißt demokratische Mitwirkungsrechte für alle,
Gleichheit vor dem Gesetz und Freiheit des Individuums
sind heute höchstens soweit realisiert, wie sie
sich mit der Freiheit des Eigentums, also der gesellschaftlichen
Dominanz der Profithäckerei vertragen.
Fortschritt heißt aktuell: Umverteilung von oben nach
unten, umfassende Demokratisierung und solidarische
Qualifikation für die Emanzipation aller. Dafür braucht
es Aufklärung, kritisches Engagement und eine Perspektive
über die vorfindliche "Realität" hinaus. Gleiche
Entwicklungsmöglichkeiten eines jeden haben die
Gleichheit der sozialen und
kulturellen Lebensbedingungen
aller zur Voraussetzung. Darum
geht's.

V.i.S.d.P.: Niels Kreller, Schützenstr. 57, 22761 Hamburg.
Herausgegeben von: harte zeiten - junge sozialisten & fachschaftsaktive an der Universität Hamburg.
Veröffentlicht am Mittwoch, den 18. Januar 2006, http://www.harte--zeiten.de/artikel_326.html