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Raum ohne Volk?

oder unser soziales Interesse an der Wahrheit

"Ja, man muß sich wirklich fragen, was aus diesem tüchtigen und energischen Volk geworden ist. Warum sind wir Deutschen so antriebsarm? (...) Ich glaube, daß wir unsere Selbstachtung und Würde verloren haben. (...) Das hat mit unserer Geschichte zu tun. In den ersten zwei Jahrzehnten der Bundesrepublik hat es einen großen Elan gegeben, Stichwort Wirtschaftwunder. Es gab auch genügend Nachwuchs. Es herrschte Optimismus. Seit 1968 ist vielen erst wirklich ins Bewusstsein gedrungen, was für eine Katastrophe das Dritte Reich war. Wie moralisch die Deutschen durch die Verbrechen Hitlers diskreditiert sind. Ich glaube, das hat uns Deutsche so berührt, daß unser Überleben in der Tat gefährdet ist. Es gibt ein Gefühl, daß das Land keine Zukunft verdient."
Der "Historiker" Arnulf Baring im Hamburger Abendblatt (Springer-Verlag), 7. Dezember 2005.

Ah ja. Hitler war also der einzige (deutsche) Verbrecher zwischen 1933-1945. Dagegen: Die "68er" demoralisierten das "deutsche Volk". Deshalb wird "Deutschland [...] am Ende des Jahrhunderts entvölkert sein." Panik! - Das nennt sich ,Wissenschaft' und ,Journalismus'.

Wofür diese Brechstangen-Historiographie? Wir werden belehrt, daß ,unsere' schönste Zeit die "Konsensgesellschaft" der Fünfziger und Sechziger war. Bombenkrater, Petticoat und Heimatfilm. Wie romantisch. Jedenfalls gut zu verkraften, denn es gab das: "Wirtschaftswunder".
Gemeint ist damit die Phase großen wirtschaftlichen Wachstums und relativen Wohlstands in der BRD, die die Gewinne der Rüstungs- und Kriegsindustrie (nicht zuletzt aus Zwangsarbeit) vor 1945 zur Voraussetzung hatten, genauso wie den westlichen Verzicht auf Reparationen und die volle Wiederherstellung der wirtschaftlichen Machverhältnisse der "Hitler-Zeit", das KPD-Verbot, die Wiederbewaffnung und die NATO-Anbindung. All dies wurde gegen das Potsdamer Abkommen der Alliierten Mächte, die Volksvoten zur Sozialisierung des großen Kapitals, das Grundgesetz und die Friedensbewegung verwirklicht. Gelobt sei der "Optimismus" des Verdrängens.

Dem stramm Konservativen geht es also um den "Konsens"; die große Harmonie; die Ausbeutung mit idyllischem Antlitz. Hier wähnt er Hitlers ,Versagen'. Dafür werden "Nation", "Volk", "Vaterland" und "Tüchtigkeit", wahlweise auch Familie, Gehorsam und Unternehmersinn bemüht. (Historisch und human Interessierte erinnern hier eine enge Verbindung dieser Tugenden zu Kriegen und Krisen des 20. Jahrhunderts.) Die große Koalition sei ein zögerlicher Schritt nach vorn. Denn: "Wir haben seit 30 Jahren über unsere Verhältnisse gelebt." [Alle Zitate aus dem Interview mit A. Baring.]
Für die Verbreitung derart verheerender Illusionen hat auch der Konservative Axel Springer 1948 seinen Verlag gegründet (mit Hamburger Abendblatt und Hörzu), seither demagogisch für das Vergessen schreiben lassen, 1967 zur Hatz auf die revoltierenden Studenten geblasen (BILD) und hat seine AG bis heute ein Medien-Imperium erobert. Konsequente Folgerung war die 68er-Forderung "Enteignet Springer!"

Privatisierungen, Monopolisierung, Profithäckerei und dafür Krieg, Massenentlassungen, Lohndrückerei und Entdemokratisierung sind die klaffende Schlucht, die das große private Eigentum in die Gesellschaft schlägt.
Die Aussicht einer sozial fortschrittlichen Lösung der Krise (durch eine Erweiterung sozialer Leistungen, öffentliche und emanzipative Bildung und Kultur, partizipatorische Massendemokratie, sinnvolle Arbeit für alle) versetzt die braven Bürger in präventive Raserei. Freiheit von Bildungsgebühren, soziale und arbeitsrechtliche Sicherungen und erweiterte öffentliche Gesundheitsfürsorge als auch mit 1968 ff. errungene Teilerfolge sind Gegenstand ihres Geiferns.

Die zerstörerische Kraft des nationalen Kitts sozialer Gegensätze verlangt dagegen nach prinzipieller Opposition. Frieden, umfassende Demokratie und sozialer Fortschritt als Inhalt gemeinsamen, aufgeklärten Handelns erfreuen den menschlichen Verstand.
Auch ausgesprochene Wahrheit ist die Schönheit der gemeinsamen Entfaltung.

V.i.S.d.P.: Niels Kreller, Schützenstr. 57, 22761 Hamburg.
Herausgegeben von: harte zeiten - junge sozialisten & fachschaftsaktive an der Universität Hamburg.
Veröffentlicht am Sonntag, den 11. Dezember 2005, http://www.harte--zeiten.de/artikel_320.html