Menü | HomePublikationenharte zeiten › Artikel 1 einer Zeitung von harte zeiten vom

"Ich möchte Student sein"

"Mit welchem Resultat könnte man Studieren, wenn man es nicht mehr müßte? Wenn man es will! Wenn die Lehre durch weitgeöffnete Flügeltüren einzieht, anstatt durch widerwillig eingeklemmte Türchen, wie so oft in der Jugend!"
(Kurt Tucholsky, Ich möchte Student sein, 1929)

"Die Teilnehmer/-innen sollen in die Lage versetzt werden, bei steuerlichen Gestaltungen die Steuerpositionen des Steuerpflichtigen zu optimieren, aber auch die Auswirkungen des Steuervermeidungsverhaltens des Steuerpflichtigen auf die Volkswirtschaften der betroffenen Staaten zu beurteilen und deren Gegenstrategien vorauszusehen."
(Aus der Studienordnung "Master of International Taxation")

Anhand des philosophischen, ökonomischen, historischen und naturwissenschaftlichen Erbes menschlichen Erkennens und Handelns zu einer wissenschaftlichen Weltanschauung zu gelangen - das macht Sinn. Mit der Entdeckung der allgemeinen Entwicklungsgesetze der Natur, der Gesellschaft und des menschlichen Denkens wächst die Zuversicht in eine optimistische Perspektive gesellschaftlicher Entwicklung. Die Aufklärung wird materiell wirksam mit der Verbreitung des Wissens, daß die Menschen ihre Geschichte machen.

Gegen diese freudvolle wissenschaftliche Einheit aus Erkennen und Handeln zur Verbesserung der Lebensbedingungen aller Menschen wenden sich die kapitalergebenen Angriffe von Wissenschaftssenator Dräger auf die Hochschulen. Der aggressive Krämergeist des Rechtssenats wünscht sich an der Universität en masse Studiengänge wie den seit einigen Semestern laufenden "Master of International Taxation". In einem dichtgedrängten Studienjahr wird dort für 9.500 Euro Studiengebühren höchstens 25 Studierenden je Jahrgang das Handwerkszeug vermittelt, international Steuerschlupflöcher auszureizen. ‚Beste Studienbedingungen' für jene, die später einmal im Dienste weltweit agierender Unternehmen die Staaten an die Wand spielen sollen. So lehrt die Universität die Bedingungen ihrer eigenen Abwicklung.

Die ökonomisierende Zurichtung bleibt jedoch abhängig von der Kollaboration jener, die sie an den Hochschulen umsetzen müssen. Die explizit festgeschriebene Streichung der Hälfte aller Stellen in den Geistes-, Kultur- und Sprachwissenschaften ist Dank gemeinsamer, begründeter Proteste von Lernenden, Lehrenden und Mitarbeitern zunächst abgewendet. Um jedoch die Flügeltüren der Wissenschaft wirklich zu öffnen, braucht es den Ausgang aus der Wagenburg.

Der Mut, ein Studium, eine Wissenschaft streitbar anzustreben, die solidarische und kontinuierliche Entfaltung gewährleistet, die spezifische Anliegen und den allgemeinen kulturellen und sozialen Fortschritt vereint - damit tatsächlich vom eigenen Inter-esse, dem eigenen gesellschaftlichen Sein auszugehen - das erschließt den Reichtum humanistischer Wissenschaft. Die Menschen stehen als Gleiche im Mittelpunkt. So läßt sich motiviert zusammenarbeiten statt dröge Veranstaltungen abzusitzen.

Das hat begründete Aussicht und direkte Sprengkraft gegen jede (beabsichtigte) Unterwerfung.

V.i.S.d.P.: Niels Kreller, Schützenstr. 57, 22761 Hamburg.
Herausgegeben von: harte zeiten - junge sozialisten & fachschaftsaktive an der Universität Hamburg.
Veröffentlicht am Dienstag, den 14. Dezember 2004, http://www.harte--zeiten.de/artikel_205.html