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Wer sitzt im Rathaus?

Von der aktuellen Bedeutung historisch begründeter Errungenschaften

"Nein, ich meine, daß politische Perversionen dieser Zeit [gemeint ist der "Nationalsozialismus"] zu Reflexen geführt haben, die mit dem Blick zurück nachvollziehbar, aber mit der heutigen Entwicklung nicht immer vereinbar sind.
Lassen Sie mich ein Beispiel nennen: Die nationalsozialistische Ideologie berief sich auf das Recht des Stärkeren. Dies hat zu einer menschenverachtenden Behandlung der sogenannten Schwachen geführt.
Im Reflex auf diese verwerfliche Politik erleben wir bis heute, daß allein das Berufen auf das ‚schwach sein' moralische und politische Ansprüche auslöst, die einer Überprüfung nicht immer Stand halten."

(Ole v. Beust, Rede vor dem Überseeclub am 22.9.2003)

Entnazifizierung, Entmilitarisierung, soziale Gleichheit, Demokratisierung, Bildung für alle, bedarfsgerechte Gesundheitsversorgung, kulturelle Qualifizierung der Bevölkerung und Humanität der gesellschaftlichen Entwicklung - diese notwendigen Schlußfolgerungen ("Reflexe") aus Faschismus und Krieg, verneint der derzeitige Hamburger Bürgermeister. Ole von Beust, Freiherr, hält den Sozialstaat für eine unbotmäßige Verdrehung der sogenannten ‚sozialen' Marktwirtschaft. Auf dieser Linie macht der CDU-Senat Politik: Allein der Vorschlag für den Landes-Haushalt 2005/2006 sieht "Konsolidierungsmaßnahmen" in Höhe von über 150 Millionen Euro vor: Gestrichen wird ohne Gnade zum Beispiel bei Löhnen und Gehältern im öffentlichen Dienst, Kinderkuren, Jugendhilfe, politischer Bildung, Blindengeld, AIDS-Prävention, Ausbildungs- und Bildungsförderung; durch Gebührenerhöhungen bei den Jugendmusikschulen, den Volkshochschulen, dem öffentlichen Nahverkehr und mit Studiengebühren soll Geld reinkommen; öffentliches Eigentum (z.B. der Landesbetrieb Krankenhäuser, Gebäude, Wasserversorgung) werden privatisiert und kommerzialisiert. Die soziale Gefährdungen werden so auf die einzelnen abgewälzt. Die "Schwachen" dürfen auf Obdachlosenasyl, die Hilfe ihrer Familie bei Krankheit, Alter oder sozialer Not und etwas Armenpflege hoffen; denn alle sind frei: "Freiheit, nicht nur als Selbstverwirklichung, sondern als Verantwortung für sich und den Nächsten, -Markt als Prinzip, -und soziale Gerechtigkeit als Ausdruck von Nächstenliebe." Wie schön, wenn man auch für rigorosen Sozialdarwinismus noch warme Worte finden kann.
Auch der Senat liebt, was ihm am nächsten ist, und das ist die Handelskammer: Die freut sich, hat sie doch im benachbarte Rathaus Freunde, die 1 Milliarde Euro (!) zur Subventionierung des gemeinsamen Konzeptes "Wachsende Stadt" ausgeben wollen. Dieses Konzept sieht die umfassende Ausrichtung aller gesellschaftlichen Bereiche auf die sogenannten Wirtschaftscluster "Hafen/Logistik", "Nano-Technologie", "Life-Sience", "IT/Medien", "Welthandel/China", "Luftfahrt" vor. Hier erwartet man die höchsten Profite, hierfür sollen die Menschen in der Stadt ausgebildet, die Gelder bereitgestellt und die Kultur ‚eventisiert' werden. Ein neues Kriegsmarine-Museum (12 Mio), neo-koloniale Handelspolitik und Rüstungsindustrie bilden die Legierung für neoliberalen, lokal verankerten Imperialismus.
"Nie wieder!" Die Losung von 1945 hat dagegen hohe tagespolitische Bedeutung: Denn bei aller hanseatischer Zurückhaltung, die von Beust & Co. versuchen, ist ihre Sozialstaats-Abwicklung, Verbreitung kultureller Armut und ihr nicht nur fiskalisches Ja zu Ausbeutung, Rüstung und Krieg voll gefährlicher Sehnsucht nach alten Tagen.
Krieg und Militarismus, die bornierte Bereicherung einer gesellschaftlichen Minderheit an der Arbeit und Gütern anderer Länder, die Auswirkungen massenhaft-verbreiteter sozialer Angst, mangelnder demokratischer Bildung und innenpolitischer Repression sind aus historischer Erfahrung begründet prinzipiell zu bekämpfen. Die antifaschistische Lehre aus Faschismus und Krieg, die Wurzeln der Barbarei sein zu tilgen, ist noch einzulösen: Großkapital und -industrie zu vergesellschaften, Rüstung, Militarismus und Kriegsbeteiligung auszuschließen, soziale Einrichtungen massiv auszubauen, kulturelle Entfaltung zu fördern und alle Bereiche gesellschaftlichen Lebens zu demokratisieren. Der Rechtssenat muß weg!
Soziale Reformen müssen mit der Perspektive sozialer Gleichheit und kultureller Entfaltung für alle erstritten werden - gegen die Destruktion und verrohende Intervention der gesellschaftlichen Rechten. Außerparlamentarischer Druck aus den sozialen Bewegungen und zivilgesellschaftlichen Institutionen ist dafür dauerhaft zu entwickeln.

"Es ist eine historische Grunderfahrung, daß Reparaturen am Kapitalismus nicht genügen. Eine neue Ordnung von Wirtschaft und Gesellschaft ist nötig."
(Aus dem Grundsatzprogramm der SPD ["Berliner/Leipziger Programm"], 1989/1998)

V.i.S.d.P.: Niels Kreller, Schützenstr. 57, 22761 Hamburg.
Herausgegeben von: harte zeiten - junge sozialisten & fachschaftsaktive an der Universität Hamburg.
Veröffentlicht am Montag, den 18. Oktober 2004, http://www.harte--zeiten.de/artikel_198.html