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Die Universität und der Krieg

Seit inzwischen gut zwei Monaten führt Deutschland zusammen mit anderen NATO-Staaten Krieg gegen Jugoslawien. Daß es gälte, eine "humanitäre Katastrophe", zu verhindern, ist Schnee von vorgestern. Die mangelnde Eignung von Bombardements zum Schutz menschlichen Lebens zeigt sich nicht erst seit der wortreich bedauerten Verwechslung von Flüchtlingstraktoren mit Panzern vor fünf Wochen und der Bombardierung von Bahnen, Bussen und Botschaften.

Der Tod von jugoslawischen Zivilisten - wie etwa der Fernsehmitarbeiter, die den Bombardierungen zum Opfer gefallen sind, wird derweil in Kauf genommen. Kritiklos wird hingenommen, daß anscheinend sämtliche jugoslawischen Straßenbrücken dem Militär (und bevorzugt im Norden Serbiens dem Nachschub in den Kosovo) dienen und insbesondere die gezielte Zerstörung der Stromversorgung die Bevölkerung unmittelbar trifft. Nach sieben Wochen Bombardements ist Krieg schon so sehr "Business as usual", daß es kaum jemandem auffällt, daß die gezielte Bombardierung ziviler Ziele unter allen Umständen ein Kriegsverbrechen ist.

Längst ist die Okkupation Jugoslawiens durch NATO-Truppen nicht mehr auszuschließen. Denn was sich vielleicht zunächst als Paranoia einiger Humanitäts-Drückeberger darstellte, ist inzwischen Realpolitik:

Der Krieg eskaliert, die "Kriegsziele" werden ausgeweitet, und die Brutalisierung der Kriegsführung kommt als Normalität daher. Kurzum - der Krieg läuft und läuft und läuft. Und er wird weitergeführt, weil die politisch Verantwortlichen offenkundig wußten, wie man das Kriegführen beginnt, nicht aber, wie man einen Krieg beendet.

Derzeit wird teilweise von Politikern vertreten, man müsse die Bombardierungen deshalb fortsetzen, weil man keine Alternative habe - ganz egal, ob und wem die Bomben nützen. Das klingt nicht danach, als habe man auch nur annähernd die Kontrolle über das eigene Handeln. Nichtsdestotrotz scheint Handeln gefragt, über Kriegsursachen nachdenken darf man ein andermal.

Kriegsursachenforschung: Das ist die Wissenschaft, die derzeit einen Krieg kommentiert, den ihre Arbeit hätte verhindern sollen. Ihre Rolle besteht im Moment darin, relativ treffsicher aber realpolitisch folgenlos zu prognostizieren, was mit dem Vorgehen der NATO alles schiefgehen muß. Angefangen mit der Vorhersage, daß die Bombardierungen mit tödlicher Sicherheit keine "humanitäre Katastrophe" würden verhindern können, über die Warnung vor der Eskalation der Gewalt sowie vor der Ausweitung der Kriegsziele konnte man sich bereits in der Nacht der ersten Bombardierungen von kundiger Seite eine Art Programmvorschau des Krieges liefern lassen.

Für die Hamburger Universität - hier gibt es das durchaus renomierte Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik- stellen sich insoweit einige Fragen: Darf man sich damit zufriedengeben, daß Wissenschaft, die dazu beitragen kann, Wege aus der Gewalt zu finden den Status von Orchideenfächern hat? Wie kann es sein, daß - jedenfalls diese - Wissenschaft in der Praxis so wenig wirkungsmächtig ist? Wie ist es eigentlich erklärlich, daß die Hamburger Universität einerseits in der Friedensforschung eine Vorreiterrolle einnimmt, andererseits aber auch wehrtechnische Forschung stattfindet? Ist Wissenschaft wertneutral? Ist es uns also egal, ob an der Uni die Verhinderung von Krieg, oder die Führbarkeit von Krieg angestrebt wird?

Und wie kann es sein, daß der Beitrag der Geistes- und Sozialwissenschaften zur Aufarbeitung der deutschen Geschichte keinerlei Wirkung bei Politikern und Militärs zu haben scheint? Denn wie sonst ist es zu erklären, daß der deutsche NATO-General Naumann die Wiedereinführung des Eisernen Kreuzes als Tapferkeitsorden für deutsche Soldaten fordert, sich dabei auf die ?gute Tradition? dieses Ordens beruft und dessen Bedeutung von 1939-1945 komplett ausblendet? Oder deutsche Politiker sich anmaßen, die Singularität des Holocaust zu leugnen, indem sie in Kriegsverbrechern aller Art Hitlers Reinkarnation erkennen wollen?

Die Uni ist der Ort, hier sind wir die Akteure, die sich zu verhalten haben. Denn was soll eine Hochschule, was soll eine Wissenschaft wert sein, die zur Frage von Leben und Tod, zu Krieg oder Frieden nichts zu sagen hätte?
Universität soll und kann kein Elfenbeinturm sein. Sie ist Ort der Auseinandersetzung über die Ursachen und Konsequenzen, die der Krieg hat. Das ist keine Forderung, es beschreibt zunächst mal eine Tatsache. Wie gesagt: Eine Universität, die sich nicht dazu verhält, was mit ihren Forschungsresultaten so angestellt wird, verhält sich eben doch: Sie nimmt stillschweigend hin. Das allerdings ist dasjenige, was einer Universität so ziemlich am allerwenigsten ansteht. Wir alle sind daher fachspezifisch wie auch interdisziplinär gefordert, zu reflektieren, was es für die Wissenschaften bedeutet,

 daß in Europa wieder Krieg geführt wird

 daß sozio-ökonomische Interessen von allen Beteiligten durch ethnizistische, nationalistische Ideologien kaschiert werden

 daß die Bundesrepublik als Kriegspartei mit der NATO ein Monopol darauf reklamiert, zu entscheiden, was gerecht sei und was nicht.

Damit an unserer Universität nicht völlig "ziellos" und vorgeblich wertneutral "herumgeforscht" wird, müssen die zahlreichen Forschungsgebiete auf ihre inhaltliche Ausrichtung überprüft werden, um entgegengesetzte, sich widersprechende Zielsetzungen der verschiedenen Fachrichtungen (wie Friedens- oder Rüstungsforschung) auszuschließen. Darüber hinaus sollte der vorhandenen Kriegsursachenforschung mehr Beachtung und Bedeutung zuteil werden, insofern als daß sie kritisch reflektiert und daraufhin gegebenenfalls gestärkt werden kann. In der Akademischen Selbstverwaltung, beispielsweise im Konzil, muß die Frage von Krieg oder Frieden thematisiert und diskutiert werden, damit die Universität ihre Verantwortung als Teil der Gesellschaft wahrnimmt und nicht dazu schweigt.

Diese Diskussion betrifft jedoch alle Angehörigen der Hochschule. Hierfür ist ein öffentlicher Hochschultag als Forum für alle, sich an der Auseinandersetzung um Krieg oder Frieden zu beteiligen, eine sinnvolle Möglichkeit und deswegen anzustreben.

V.i.S.d.P.: Niels Kreller, Schützenstr. 57, 22761 Hamburg.
Herausgegeben von: juso-hochschulgruppe & fachschaftsaktive an der Universität Hamburg.
Veröffentlicht am Sonntag, den 16. Mai 1999, http://www.harte--zeiten.de/artikel_148.html