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Echte Reformen statt Rumgeeier

,,Das Axiom der deutschen Geschichtsschreibung: >Männer machen Geschichte<, ist nur die historisch-methodologische Kehrseite der preußisch-bürokratischen Auffassung vom >beschränkten Untertanenverstand<, von der Proklamation nach der Schlacht von Jena: >Ruhe ist die erste Bürgerpflicht<.“

Georg Lukacs, ,,Die Zerstörung der Vernunft“, Erstes Kapitel: ,,Über einige Eigentümlichkeiten der geschichtlichen Entwicklung Deutschlands“, Aufbau Verlag 1954, S. 49.

Das Europa der Konzerne ist autoritär, heuchlerisch und tief sozial gespalten. Es hat an Legitimation eingebüßt. Je schärfer die Krise in den einzelnen Ländern zu spüren ist, desto klarer ist die politische Polarisierung auch in den jeweiligen Ländern.

Ob diese Polarisierung eine Linkstendenz hat, hängt wesentlich von der Politik der mehr oder weniger ,,roten“ Parteien ab: je neoliberalisierter und zersplitterter die politische Linke ist, desto rechter ist das EU-Wahlergebnis insgesamt (Frankreich, Großbritannien). In Spanien, Portugal und Griechenland aber dominiert eine sozialreformerische oder sozialistische Opposition zum Neoliberalismus. In der BRD wird die Fortsetzung von Markthörigkeit der Großen Koalition von links außerparlamentarisch und parlamentarisch konterkariert. Wie kann in dieser Lage nachhaltig eine menschenwürdige Alternative zu rechtspopulistisch-neoliberalen, rechtskonservativen und faschistischen ,,Antworten“ auf die Krise der europäischen Demokratie entwickelt werden?

Mit echter demokratischer und sozialer Progression, die nur mit politischen Beschränkung der Gewinngroßen zu machen ist. Das Potsdamer Abkommen der Anti-Hitlerkoalition von 1945 - ,,Demokratisierung, Denazifizierung, Demilitarisierung und Demonopolisierung“ - ist dafür weiterhin ein verbindlicher strategischer Bezugspunkt. Ein zweiter ist ,,1968“.

Was war 1968? Eine internationale, antiimperalistische und kulturell emanzipatorische Bewegung. In den USA: für Bürgerrechte und Frieden statt Rassismus und Vietnamkrieg; in der BRD: für mehr Demokratie und friedliche Ostpolitik mit sozialistischer Perspektive statt faschistische Kontinuitäten, Spießer-Muff und NATO-Gehorsam; im Warschauer Pakt: für Entbürokratisierung und kulturelle Belebung des Sozialismus; in Japan: für Arbeiterrechte und gegen Militarismus und post-feudalen Korporatismus; in der ,,Dritten Welt“: für Dekolonisierung und Transformation in demokratische, industrialisierte Gesellschaften. Überall waren die Studierenden wesentliche Akteure dieses Aufbruchs.

Auch wenn die Ansprüche beider historischer Zäsuren nicht eingelöst sind, waren das doch ganz große Wegbereitungen, die heute unsere Konsequenz herausfordern. Alle Gesellschaften wurden kräftig und mit Langzeitwirkung durchgelüftet.

Und heute?

,,Wie könnte ein Ausweg aus den globalen Ungleichgewichten, die immer wieder einschneidende Krisen und Konflikte produzieren werden, aussehen? Sparappelle und Lohnsenkungen, die gerade die finanziell sowieso schon bedrängte Bevölkerungsgruppen treffen, sind kein geeignetes Rezept. Der enge Zusammenhang zwischen nationalen Einkommensungleichheiten und globalen Ungleichgewichten legt eine andere, längerfristige Strategie nahe: Um einer wiederkehrenden Destabilisierung der Finanz- und Immobilienmärkte entgegenzuwirken, muss der Lohnanteil am Bruttoinlandsprodukt generell und dauerhaft erhöht werden. Die Stärkung von einkommens- und kapitalschwachen Bevölkerungsteilen wird mehr zur Eindämmung globaler Ungleichgewichte und Instabilität betragen können als alle noch so raffiniert konstruierten Mechanismen der Finanz- und Devisenmarktregulierung“, schreibt der Politikwissenschaftler Sebastian Heilmann in der konservativen Frankfurter Sonntagszeitung (15.6.2014).

Hinzu sollten staatliche Investitionen in Arbeit, Bildung, Kultur und Infrastruktur, die konsequente Achtung der Menschenrechte und des Völkerrechts sowie Demokratisierung des öffentlichen Lebens (nicht zuletzt der Hochschulen) hinzukommen. Dafür sind Steuern einzunehmen, wo sie reichlich einzunehmen sind.

Reform, das ist ,,Wiederherstellung“, auch: Heilung. Aufrecht mit anderen gelingt sie.

V.i.S.d.P.: Golnar Sepehrnia, Schützenstr. 57, 22761 Hamburg.
Herausgegeben von: harte zeiten - junge sozialisten & fachschaftsaktive an der Universität Hamburg.
Veröffentlicht am Sonntag, den 15. Juni 2014, http://www.harte--zeiten.de/artikel_1258.html