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SP01 Artikel 4/7

Praxisbezug: Die Welt verbessern

Wissenschaft in gesellschaftlicher Verantwortung - was das heißt? Es heißt, daß wir als Mitglieder der Hochschule uns nicht vor den gesellschaftlichen Problemen verstecken können, daß wir mit unserer wissenschaftlichen Tätigkeit - sei es in Lehre, Studium oder Forschung - dazu beitragen, Lebensbedingungen zu verbessern oder zu verschlechtern.

Daß wir uns davon nicht lossagen können ist eigentlich offensichtlich. Jeder einzelne von uns als Teil der menschlichen Gesellschaft immer mit ihren Problemen konfrontiert ist. Sei es unmittelbar mit ökologischer Zerstörung, mit sozialer, sexueller oder rassistischer Diskriminierung, mit Arbeitslosigkeit, Armut oder eben schlicht dem Problem, sich neben dem Studium den Lebensunterhalt zu sichern. Sei es aber auch mittelbar mit den Folgen von Krieg, Unterdrückung und Unterentwicklung. Und darum ist jedeR einzelne gefordert, sich so zu verhalten, daß sie oder er zur Lösung dieser Probleme beiträgt - im allgemeinen und individuellen Interesse.

Wer sich darauf beschränkt, festzustellen, daß wir alle - jeder für sich - ein wenig mit Schuld sind und daraus den Schluß zieht, daß unser Beitrag zu Lösung solcher Probleme sich darauf beschränkt, statt des Autos das Semesterticket zu benutzen, der vertut die herausragenden Möglichkeiten, die an einer Universität gegeben sind. Denn globale Herausforderungen, wie der Versuch, Kriegsursachen zu beseitigen, Vollbeschäftigung und ökologisch nachhaltiges Wirtschaften zu erreichen, Diskriminierungen zu beseitigen und materielle wie soziale Gleichberechtigung herzustellen - all diese Fragen lassen sich nur mit Hilfe der Wissenschaft lösen. Und dabei sollten die Studierenden Verantwortung übernehmen.

Praxisbezug Mülltrennen?

Es genügt eben nicht, die Eimsbütteler Kommunalpolitiker für den Ausbau von Radwegen zu loben oder zum Mülltrennen aufzurufen. Es gehört zu den Aufgaben der studentischen Interessenvertretung, sich damit auseinanderzusetzen, ob in der Physik Fragen regenerativer Energien behandelt werden, wie in der Humanbiologie mit dem Begriff "Rasse" im Bezug auf den Menschen umgegangen wird, ob sich die Historiker in den Dienst von Firmen stellen sollen, die sich von der Beschäftigung von Zwangsarbeitern im Zweiten Weltkrieg reinwaschen wollen oder ob die Strömungsmathematik sich mit Berechnungen zur Optimierung von U-Boot-Rümpfen befassen soll.

Tatsächlich wird die Beteiligung von Studierenden an der Gestaltung von Wissenschaft gegenwärtig aber immer weiter eingeschränkt. Wenn Studierende als Kunden der Universität, als Konsumenten von Lehre angesehen werden, dann wird ihre Einflußnahme weitgehend auf die Entscheidung "kaufen" oder "nicht kaufen" reduziert: wenn es Dir hier nicht paßt, dann geh doch woanders hin. Auch die immer populärer werdenden Evaluationen sind da kein Ausgleich, da die Studierenden sich hier stets nur an einer von ihnen "konsumierten" Lehrveranstaltung abarbeiten können. Daß Studierende als Mitglieder der Universität an der inhaltlichen Entwicklung und Ausgestaltung von Lehre und Forschung aktiv und nicht nur bewertend beteiligt sind, kommt kaum noch vor.

Stattdessen erhalten unter dem Banner des "Praxisbezuges" Wirtschaftsverbände und Unternehmen stärkeren und Direkteren Einfluß auf Wissenschaft. Durch dauerhafte Mangelfinanzierung sind Forschende immer stärker auf private Drittmittelgeber angewiesen. Deren Interesse und nicht gesellschaftlicher Nutzen ist somit Maßstab dessen, was geforscht wird. Durch Kuratorien und Beiräte soll der Einfluß der Wirtschaft weiter verstärkt, der Einfluß der Hochschulmitglieder auf den Gegenstand ihrer Tätigkeit minimiert werden. Gleichzeitig wird die Öffnung der Hochschulen, wie sie in den siebziger Jahren durchgesetzt wurde, zurückgeschraubt. Es wird wieder stärker selektiert, wer in den Genuß eines Studiums kommt - allein an der Universität Hamburg sind in den letzten Jahren über 5.000 Studienplätze gestrichen worden. Wissenschaftliche Bildung wird zum Privileg, das nur noch nach Maximen ökonomischer Nützlichkeit gewährt wird. So wird die Entwicklung von Alternativen fast unmöglich gemacht. Denn wer sich neben dem pflichtgemäßen Studium noch die Zeit nimmt, sich nach dem Sinn dessen zu fragen, was sie oder er da gerade eingetrichtert bekommen soll, die oder der fällt schnell durchs Sieb.

Praxisbezug: Solidarische Gesellschaft

Um so wichtiger ist es, das unbequeme Nachbohren in solchen wissenschaftspolitischen Fragen nicht dem Einzelnen zu überlassen, sondern den Druck für eine Wissenschaft in gesellschaftlicher Verantwortung solidarisch zu organisieren. Und da Wissenschaftspolitik bundesweit, wenn nicht gar europaweit betrieben wird, müssen die ASten auch hier überregional kooperieren, zum Beispiel im fzs, dem freien zusammenschluß von studierendenschaften. Der AStA muß in diesem Sinne aktiv werden. Denn ein Praxisbezug, der nicht dazu dient, die Lebensbedingungen von Menschen verbessern, ist wenig wert.

Klingt weltverbesserisch? Klar - aber die Welt zu verbessern ist doch nicht das schlimmste, was man tun kann.

Veröffentlicht am Dienstag, den 9. Januar 2001, http://www.harte--zeiten.de/artikel_113.html